Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
Vom Netzwerk:
Wesen es sich handelt?«
    »Nein«, sagte die Mademoiselle, aber es klang zurückhaltend. »Doch was ich erfahren habe, ist kaum weniger von Interesse.«
    Was die Mademoiselle zu berichten hatte, bezog sich auf die Struktur des Feuerleitstandes. Im Grunde war er ein ungeheuer komplexes Computernetz aus vielen Schichten, die sich über Jahrzehnte Schiffszeit aufgebaut hatten. Ob eine einzelne Person – selbst Volyova – imstande war, mehr als die Grundzüge dieser Struktur zu erfassen, durfte mit Fug und Recht bezweifelt werden. Zu sehr griffen die verschiedenen, teils mehrfach gefalteten Schichten ineinander. Andererseits ließ sich der Feuerleitstand recht einfach überblicken, denn er war fast völlig vom Rest des Schiffes getrennt. Deshalb konnte man die höheren Funktionen der Weltraumgeschütze im Park nur steuern, wenn man sich persönlich im Kampfsitz befand. Der Leitstand war durch einen Firewall geschützt. Daten konnten zwar vom Rest des Schiffes einströmen, aber nicht in umgekehrter Richtung nach draußen. Das hatte taktische Gründe: Alle Bordwaffen (nicht nur die Weltraumgeschütze) mussten aus dem Schiff gebracht werden, bevor man sie abfeuern konnte. Damit boten sie feindlichen Viren die Möglichkeit, ins Schiff einzudringen. Um das zu verhindern, hatte man den Leitstand vom Rest des Datenraums getrennt und mit einer nur nach einer Richtung zu öffnenden Falltür geschützt. Diese Tür ließ nur Daten aus dem Schiff in den Leitstand; vom Innern des Leitstands aus war sie unpassierbar.
    »Wir haben also festgestellt«, sagte die Mademoiselle, »dass wir im Feuerleitstand etwas entdeckt haben. Welche logische Schlussfolgerung ergibt sich daraus?«
    »Was immer es ist, es ist durch ein Versehen hineingelangt.«
    »Richtig.« Die Mademoiselle klang so zufrieden, als sei ihr der Gedanke selbst noch gar nicht gekommen. »Wir können wohl nicht ausschließen, dass die Entität über die Waffen Zugang zum Feuerleitstand gefunden hat, aber ich halte es für wahrscheinlicher, dass sie durch die Falltür eingedrungen ist. Zufällig weiß ich auch, wann diese Tür zum letzten Mal passiert wurde.«
    »Wie lange ist das her?«
    »Achtzehn Jahre.« Bevor Khouri protestieren konnte, ergänzte die Mademoiselle: »Natürlich Schiffszeit. Nach Planetenzeit schätzungsweise achtzig bis neunzig Jahre vor Ihrer Anwerbung.«
    »Sylveste«, staunte Khouri. »Sajaki sagte, Sylveste sei nur deshalb von Yellowstone verschwunden, weil man ihn an Bord dieses Schiffes gebracht hätte, um Captain Brannigan zu heilen. Passt das zeitlich zusammen?«
    »Ganz ausgezeichnet, würde ich sagen. Wir kommen damit etwa ins Jahr 2460 – etwa zwanzig Jahre nach Sylvestes Rückkehr von den Schleierwebern.«
    »Und Sie glauben, er hätte es mitgebracht – was immer es gewesen sein mag?«
    »Wir wissen nur, was Sajaki uns erzählt hat. Demnach hatte Sylveste der Calvin-Simulation gestattet, seinen Körper zu übernehmen, um Captain Brannigan zu heilen. Irgendwann im Lauf der Operation muss Sylveste Verbindung mit dem Datenraum des Schiffes aufgenommen haben. Vielleicht hat sich der blinde Passagier dabei an Bord geschlichen. Anschließend – vermutlich schon sehr bald danach – passierte er die Tür, die nur in einer Richtung zu öffnen war, und gelangte in den Leitstand.«
    »Und seither hält er sich dort auf?«
    »Allem Anschein nach ja.«
    Es hatte schon fast Methode: sobald Khouri den Eindruck gewann, eine gewisse Ordnung in die Ereignisse gebracht zu haben, tauchte eine neue Tatsache auf und riss das System in Fetzen. Sie kam sich vor wie ein mittelalterlicher Astronom, der immer kompliziertere Uhrwerkskosmologien entwerfen musste, um abweichende Beobachtungen integrieren zu können. Jetzt bestand plötzlich eine ganz obskure Verbindung zwischen Sylveste und dem Feuerleitstand. Immerhin hatte sie einen Trost. Hier war auch die Mademoiselle ratlos.
    »Sie sagten, das Ding sei ein Feind«, bemerkte sie vorsichtig. Sie war selbst nicht sicher, ob sie noch weitere Fragen stellen wollte. Womöglich waren die Antworten so schwierig, dass sie ohnehin nichts damit anfangen konnte.
    »Ja.« Die Mademoiselle zögerte. »Die Hunde waren ein Fehler«, sagte sie dann. »Ich war zu ungeduldig. Ich hätte sehen müssen, dass Sonnendieb…«
    »Sonnendieb?«
    »So nennt er sich. Der blinde Passagier, meine ich.«
    Das war schlimm. Woher kannte sie diesen Namen? Khouri erinnerte sich blitzartig, dass Volyova sie einmal genau danach gefragt hatte. Aber

Weitere Kostenlose Bücher