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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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eventuell war es nur ein Gerücht – kein Schieber-Transform sei ohne Nebenwirkungen; man könne den menschlichen Geist nicht umformen, ohne vorhandene Fähigkeiten einzubüßen. Immerhin gebe es nur eine endliche Zahl von Neuronen im menschlichen Gehirn, und entsprechend sei auch die Zahl der möglichen interneuronalen Verbindungen begrenzt. Die Schieber könnten das Netz zwar neu verdrahten, aber dabei würden zwangsläufig bestehende Verbindungen zerstört. Auch Sylveste mochte gewisse Ausfälle zu verzeichnen haben, allerdings hatte er bisher noch nichts davon bemerkt. Vielleicht zeigten sich die Verluste bei Sajaki deutlicher. Der Mann hatte fast schon autistische Züge, ihm fehlte jedes intuitive Verständnis für das Wesen des Menschen. Die Gespräche mit ihm hatten eine gewisse Sterilität, aber das fiel erst auf, wenn man genau hinhörte. In Calvins Labors auf Yellowstone hatte Sylveste einmal mit einem historischen Computersystem gesprochen, das mehrere Jahrhunderte vor dem Transrationalismus, in der ersten Blütezeit der Erforschung der Künstlichen Intelligenz gebaut worden war. Das System hatte von sich behauptet, die menschliche Sprache zu imitieren, und anfangs antwortete es auf eingegebene Fragen auch durchaus verständig. Doch schon nach wenigen Sätzen war die Illusion dahin, und mit der Zeit stellte man fest, dass die Maschine das Gespräch von sich weg steuerte und alle Fragen mit der Gleichgültigkeit einer Sphinx an sich abprallen ließ. Bei Sajaki waren diese Ausweichmanöver längst nicht so extrem, aber spürbar waren sie auch hier, und er ging dabei nicht einmal sonderlich geschickt vor. Er bemühte sich gar nicht, seine Gleichgültigkeit zu verbergen; die menschliche Tünche des Soziopathen fehlte. Sajaki hatte es ja auch nicht nötig, seine Natur zu verleugnen. Er hatte nichts zu verlieren und war auf seine Art nicht mehr und nicht weniger fremdartig als der Rest der Besatzung.
    Als er schließlich klargestellt hatte, dass er Sylvestes Gründen für die Resurgam-Expedition nicht weiter nachzuspüren gedachte, wandte er sich an das Schiff und befahl ihm, Calvin zu rufen und sein simuliertes Abbild auf das Captainsdeck zu projizieren. Die sitzende Gestalt erschien praktisch sofort. Wie üblich spielte Calvin zunächst ein wenig Theater, indem er so tat, als sei er aus tiefem Schlaf erwacht. Er räkelte sich und sah sich um, aber diesmal war er nicht mit dem Herzen dabei.
    »Fangen wir an?«, fragte er. »Soll ich in dich einfahren? Die Maschinen, mit denen ich deine Augen behandelte, bereiten mir wahre Tantalusqualen, Dan – zum ersten Mal seit Jahren erkenne ich, was mir fehlt.«
    »Es ist leider noch nicht so weit«, sagte Sylveste. »Dies ist nur ein – wie soll ich sagen? Eine Probebohrung?«
    »Warum habt ihr mich dann überhaupt geweckt?«
    »Weil ich in der unerfreulichen Lage bin, deinen Rat zu brauchen.« Während er sprach, tauchten zwei Servomaten aus dem finsteren Korridor auf. Es waren riesige Kettenfahrzeuge. Aus ihren Rümpfen wuchsen dicke Bündel blitzender Spezialmanipulatoren und Sensoren. Obwohl sie antiseptisch rein und spiegelblank waren, schienen sie etwa tausend Jahre alt und geradewegs einem Museum entsprungen zu sein. »Hier gibt es nichts, was für die Seuche anfällig wäre«, erklärte Sylveste. »Keine kleinen, mit bloßem Auge nicht zu erkennenden Bauteile; nichts was sich repliziert, selbst repariert oder seine Gestalt verändert. Alle Cybernetiker sind weit entfernt – Kilometer über uns, und mit den Drohnen stehen wir nur optisch in Verbindung. Bevor wir Volyovas Retrovirus einsetzen, kommt kein Replikator gleich welcher Art an den Captain heran.«
    »Sehr vernünftig.«
    »Für die Feinarbeit«, sagte Sajaki, »müssen Sie das Skalpell natürlich selbst führen.«
    Sylveste fasste sich an die Stirn. »Meine Augen sind nicht völlig immun. Du musst sehr vorsichtig sein. Wenn die Seuche sie erwischt…«
    »Vorsicht ist gar kein Ausdruck, glaube mir.« Calvin warf in der monolithischen Abgeschiedenheit seines Lehnstuhls den Kopf zurück und lachte wie ein Betrunkener über seinen eigenen Witz. »Wenn deine Augen hochgehen, bleibt selbst mir keine Zeit mehr, meine Angelegenheiten zu ordnen.«
    »So lange du das Risiko kennst, ist es ja gut.«
    Die Servomaten polterten auf den Captain zu, der wie ein gefallener Engel in seinem Kälteschlaf tank ruhte. Mehr denn je hatte man den Eindruck, als sei er nicht mit gletscherhafter Langsamkeit aus dem Behältnis

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