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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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Masse kaum noch ausreichte, um die eigene Kernfusion in Gang zu halten. Dann scharten sie ein Dutzend dieser Sterne um das Schwarze Loch herum und bildeten eine Akkretionsscheibe, die langsam Sternenmaterie auf den lichtverschlingenden Ereignishorizont regnen ließ und so das Loch speiste. So weit war Sylveste mitgekommen, jedenfalls wiegte er sich in dieser Illusion. Der nächste Teil – der Kern des Ganzen – glich einem Zen-Koan und war sehr viel schwerer zu fassen. Sylveste begriff nur so viel, dass die Teilchen, wenn sie sich erst innerhalb des Ereignishorizonts befanden, weiter bestimmten Trajektorien folgten und auf bestimmten Bahnen um den unendlich dichten Kern, die Singularität im Herzen des Schwarzen Lochs getragen wurden. Entlang dieser Trajektorien verschmolzen Raum und Zeit allmählich miteinander, bis sie nicht mehr sauber zu trennen waren. Und – das war das Entscheidende – es gab eine Menge von Trajektorien, bei der die beiden vollends die Plätze tauschten und eine Bahn durch den Raum zu einer Bahn durch die Zeit wurde. Auf einer Teilmenge dieser Trajektorien-Schar konnte Materie sich tatsächlich in die Vergangenheit zurücktunneln, in eine frühere Phase der Geschichte des Schwarzen Lochs.
    »Ich greife auf Texte aus dem zwanzigsten Jahrhundert zu«, murmelte Calvin. Er hatte Sylvestes Gedankengängen offenbar zu folgen vermocht. »Der Effekt war schon damals bekannt – oder wurde vorhergesagt. Man hielt ihn für eine logische Weiterentwicklung der mathematischen Beschreibung Schwarzer Löcher. Aber niemand wusste, wie ernst er zu nehmen war.«
    »Wer immer Hades konstruierte, hatte diese Bedenken nicht.«
    »So sieht es aus.«
    Wenn nun Licht, Energie oder Teilchenströme auf diese speziellen Trajektorien gerieten, drangen sie mit jedem Umlauf um die Singularität tiefer in die Vergangenheit vor. Das Geschehen war durch die undurchdringliche Barriere des Ereignishorizonts vom Rest des Universums abgeschirmt, und da es von außen nicht ›erkennbar‹ war, verstieß es auch nicht direkt gegen die Gesetze der Kausalität. Den mathematischen Theorien zufolge, auf die Calvin zugegriffen hatte, wäre ein solcher Verstoß nicht möglich gewesen, da diese Trajektorien niemals ins externe Universum zurückführen konnten. Aber sie taten es doch. Die Mathematiker hatten nämlich einen Sonderfall übersehen: eine winzig kleine Untermenge einer Teilmenge von Trajektorien beförderte tatsächlich Quanten bis zum Zeitpunkt der Entstehung des Schwarzen Loches zurück, bis zum Kollaps bei der Supernova-Explosion seines Vatersterns.
    In diesem Moment bewirkte der minimale Außendruck der aus der Zukunft eintreffenden Teilchen, dass sich der gravitationelle Einsturzprozess verzögerte.
    Die Verzögerung war nicht einmal messbar; sie war kaum länger als das kleinste theoretische Zeit-Quantum, die Planck-Zeit. Aber sie existierte. Und trotz ihrer Geringfügigkeit löste sie kausale Stoßwellen aus, die in die Zukunft zurückschlugen.
    Wenn diese kausalen Stoßwellen auf die eintreffenden Teilchen trafen, entstand ein kausales Interferenzgitter, eine stehende Welle, die symmetrisch in die Vergangenheit und in die Zukunft hinein reichte.
    Das kollabierte Objekt war in diesem Gitter gefangen und wusste nicht mehr, ob es wirklich zum Schwarzen Loch bestimmt war. Schon die Anfangsbedingungen waren grenzwertig gewesen, vielleicht ließen sich die Verwicklungen vermeiden, wenn es oberhalb des Schwarzschild-Radius verharrte; wenn es stattdessen zu einer stabilen Konfiguration aus Strange Quarks und entarteten Neutronen kollabierte.
    Es oszillierte so lange unschlüssig zwischen den beiden Zuständen, bis die Unschlüssigkeit kristallisierte. Was zurückblieb, war einmalig im Universum – wenn man davon absah, dass anderswo an anderen Schwarzen Löchern ähnliche Transformationen ausgelöst wurden und ähnliche Kausalparadoxa entstanden.
    Das Objekt fand schließlich zu einer stabilen Konfiguration, in der seine paradoxe Natur für das restliche Universum nicht auf Anhieb erkennbar war. Äußerlich ähnelte es einem Neutronenstern – jedenfalls an der Krustenoberfläche. Doch schon wenige Zentimeter tiefer war die nukleare Masse durch katalytische Prozesse zu komplexen Strukturen geordnet worden, die blitzschnelle Berechnungen durchführen konnten. Diese Selbstorganisation war spontan aus der Auflösung der beiden gegensätzlichen Zustände emergiert. Die Kruste brodelte. Sie verarbeitete und speicherte

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