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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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›Wunder‹ nicht verdient hätte. Für vieles war sie sogar eher ungenügend. Ein ganzes Menschenleben würde nicht ausreichen, um auch nur einen Bruchteil dessen zu erfassen, was dieser Raum enthielt; was er war. Sylveste empfand nicht zum ersten Mal so, nicht zum ersten Mal wurde ihm ein kurzer Blick auf ein gewaltiges, aber noch unerschlossenes Wissenspotenzial gewährt, das weder codifiziert noch in eine Theorie gefasst war. Aber alle früheren Erlebnisse dieser Art waren nur blasse Vorläufer dessen gewesen, was er jetzt fühlte.
    Er konnte nur wenige Stunden hier verweilen, wenn er nicht jede Hoffnung auf Rückkehr begraben wollte. Was ließ sich in wenigen Stunden erreichen? Nüchtern betrachtet nur sehr wenig, aber er hatte die Aufzeichnungsgeräte seines Anzugs, und er hatte seine Augen. Er musste es zumindest versuchen. Wenn er diese Gelegenheit ungenützt vorübergehen ließ, würde ihm die Geschichte niemals verzeihen. Wichtiger noch, er selbst würde sich niemals verzeihen.
    Er steuerte den Raumanzug auf die beiden Objekte in der Mitte des Raumes zu, die ihn völlig in ihren Bann gezogen hatten: den Spalt mit dem Licht aus dem Jenseits und den Edelstein, der ihn umkreiste. Als er näher kam, gerieten die Wände in Bewegung. Es war, als würde er in den Rotationsbereich der Objekte hineingezogen; als würde der Raum selbst seine Festigkeit verlieren und sich zum Wirbel krümmen. Sein Anzug bestätigte dies zirpend mit genauen Analysen der Veränderungen des Substrats; Quantenzahlen tickten sich in neue, unerforschte Regionen vor. Ähnlich war es ihm auf dem Weg zu Lascailles Schleier ergangen. Wie damals hielt er es für ganz normal, dass sein ganzes Wesen transkribiert, in eine andere Sprache übersetzt wurde, je näher er dem Edelstein und seinem strahlenden Partner kam.
    Er brauchte Stunden, um die beiden zu erreichen. Irgendwann kamen ihm Zweifel, ob er die Dimensionen des Raumes richtig eingeschätzt hatte. Doch dann fiel die scheinbare Rotationsgeschwindigkeit des Edelsteins unerbittlich auf Null, während sich die Wände in rasender Geschwindigkeit um ihn drehten. Er wusste, dass er dem Ziel nahe war, obwohl ihm der Edelstein nicht sehr viel größer vorkam als zu Anfang. Er befand sich noch immer in Bewegung und erzeugte ständig wechselnde, symmetrischbunte Lichtreflexe wie ein Kinderkaleidoskop, nur dass sich hier die Muster in drei (oder mehr) Dimensionen realisierten. Hin und wieder fuhr das Ding Türmchen oder Spitzen aus und drohte damit in seine Richtung. Dann zuckte er zwar zusammen, wich aber nicht zurück, sondern schwebte sogar noch näher heran, sobald eine Phase relativ geringer Transformationstätigkeit einsetzte. Er spürte, dass sein Leben nicht davon abhing, ob er die Anzeigen seines Anzugs genau im Blick behielt. Über solch elementare Dinge war er hinaus.
    »Was glaubst du, was es ist?«, fragte Calvin so leise, dass seine Stimme nahezu mit Sylvestes Gedanken verschmolz, nahezu zu einem seiner Gedanken wurde.
    »Ich hatte gehofft, du könntest mir den einen oder anderen Hinweis geben.«
    »Bedauere; mir sind die umwerfenden Erkenntnisse ausgegangen. Es waren zu viele für ein einziges Menschenleben.«
 
    Volyova trieb im All.
    Obwohl sie den Spinnenraum nicht mehr rechtzeitig erreicht hatte, war sie bei der Explosion der Melancholie nicht ums Leben gekommen. Kurz bevor sich der Rumpf mit leisem Knistern auflöste wie ein Falterflügel, der in eine Kerzenflamme geriet, hatte sie nur ihren Helm aufgesetzt. Das Lichtschiff hatte sie nicht ins Visier genommen, als sie von den Wrackteilen weg schwebte, sondern es hatte sie ebenso ignoriert wie den Spinnenraum.
    Sie konnte nicht so einfach sterben. Das war nun wirklich nicht ihr Stil. Obwohl sie wusste, dass ihre Überlebenschancen statistisch gesehen zu vernachlässigen waren und dass ihre Handlungsweise jeder Logik entbehrte, musste sie die Stunden, die ihr noch blieben, möglichst in die Länge ziehen. Sie überprüfte ihre Luft- und Energiereserven und sah, dass das Ergebnis alles andere als zufrieden stellend war. Sie hatte hastig nach dem erstbesten Anzug gegriffen, weil sie dachte, sie würde ihn nur brauchen, um durch den Hangar zum Shuttle zu kommen. Sie hatte nicht einmal so viel Geistesgegenwart besessen, ihn während des Fluges an eines der Lademodule im Shuttle anzuschließen. Damit hätte sie sich wenigstens einige Tage Frist erkauft, während ihr jetzt nicht einmal mehr ein ganzer Tag blieb. Doch sie weigerte sich

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