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Unendlichkeit

Unendlichkeit

Titel: Unendlichkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds
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sein Geist unwiderruflich zerstört. Die wenigen Spuren seiner Persönlichkeit, die sich erhalten hatten, betonten die Verwüstungen nur noch mehr. Sein Gehirn konnte seine Lebensfunktionen ohne maschinelle Hilfe steuern und seine motorische Kontrolle schien keinerlei Beeinträchtigung erfahren zu haben. Aber es war keine Intelligenz mehr vorhanden; Lascaille nahm seine Umgebung nur noch in rudimentären Umrissen wahr; er schien nicht zu begreifen, was mit ihm geschehen war, er spürte offenbar nicht einmal, wie die Zeit verging; allem Anschein nach funktionierte weder sein Kurzzeitgedächtnis, noch waren Erlebnisse aus der Zeit vor seinem Flug zum Schleier abrufbar. Artikulieren konnte er sich noch, gelegentlich gab er sogar verständliche Worte oder Satzfragmente von sich, aber aus keiner seiner Äußerungen ließ sich auch nur der geringste Sinn entnehmen.
    Lascaille – oder was von ihm noch übrig war – wurde ins Yellowstone-System und dann ins SISS-Habitat zurückgebracht. Dort versuchten medizinische Spezialisten verzweifelt, das Geschehene in eine Theorie zu fassen. Irgendwann – es war mehr ein Akt der Verzweiflung als eine logische Schlussfolgerung – entschieden sie, das fraktalisierte und neu zusammengesetzte Raum-Zeit-Gefüge im Umkreis des Schleiers sei mit der Informationsdichte seines Gehirns überfordert gewesen. Als er die Grenze überschritt, habe es daher sein Bewusstsein auf der Quantenebene randomisiert, ohne die molekularen Prozesse seines Körpers merklich zu verändern. Man könne ihn mit einem Text vergleichen, der durch ungenaue Übertragung in eine andere Sprache viel von seiner Bedeutung verloren habe und anschließend noch einmal rücktranskribiert worden sei.
    Dennoch war Lascaille nicht der Letzte, der sich auf ein derart selbstmörderisches Unternehmen einließ. Um seine Person war ein Kult entstanden, der im Wesentlichen behauptete, der Mann zeige zwar alle Anzeichen von Schwachsinn, aber in Wirklichkeit habe ihn der Aufenthalt so dicht am Schleier sozusagen ins Nirwana entrückt. Alle paar Jahre fand sich in der Nähe eines bekannten Schleiers ein Nachahmer, der versuchte, Lascaille in den Grenzbereich zu folgen. Die Strafe war immer gleich schrecklich und kein einziger kam weiter als Lascaille. Wer Glück hatte, verlor nur die Hälfte seines Verstandes, die Pechvögel verschwanden auf Nimmerwiedersehen oder kehrten bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt als lachsrosa Paste in ihren Schiffen zurück.
    Während der Kult um Lascaille blühte, geriet der Mann selbst rasch in Vergessenheit. Der Anblick eines geifernden, faselnden Irren war vielleicht doch eine Spur zu unerfreulich.
    Aber Sylveste vergaß ihn nicht. Mehr noch, er steigerte sich in den Wunsch hinein, dem Mann eine letzte und entscheidende Aussage zu entlocken. Dank seiner familiären Beziehungen konnte er Lascaille sehen, so oft er wollte – vorausgesetzt, er setzte sich über Calvins finstere Warnungen hinweg. Also besuchte er ihn regelmäßig und sah mit Engelsgeduld zu, wie Lascaille seine Zeichnungen auf den Boden kritzelte. Er wusste, irgendwann würde der Mann einen einzigen kurzen Hinweis fallen lassen, und darauf wartete er unermüdlich.
    Letztlich bekam er sehr viel mehr.
    Er wusste nicht mehr, wie lange er an dem Tag gewartet hatte, als sich seine Geduld endlich auszahlte. Er versuchte, sich nur auf Lascailles Tun zu konzentrieren, aber es fiel ihm zunehmend schwerer. Es war, als betrachte man mit voller Aufmerksamkeit eine lange Reihe von abstrakten Gemälden – irgendwann erlahmte man, so sehr man sich auch bemühte, das Interesse wach zu halten. Lascaille hatte bereits das sechste oder siebte hoffnungslos unverständliche Kreide-Mandala des Tages zur Hälfte beendet und führte immer noch jeden Strich mit leidenschaftlicher Hingabe aus.
    Dann wandte er sich unvermittelt an Sylveste und sagte vollkommen vernünftig: »Den Schlüssel finden Sie bei den Schiebern, Doktor.«
    Sylveste war zu schockiert, um ihn zu unterbrechen.
    »Das hat man mir erklärt«, fuhr Lascaille munter fort. »Im Raum der Erkenntnis.«
    Sylveste zwang sich zu nicken, als verstehe sich das von selbst. Ein Teil seines Bewusstseins war noch ruhig genug, um den Ausdruck zu erkennen. Soweit das aus seinen bisherigen Äußerungen abzuleiten war, meinte Lascaille damit das Grenzgebiet im Umkreis des Schleiers – den ›Raum‹, in dem er gewisse ›Erkenntnisse‹ gewonnen hatte, die aber zu kraus und verworren waren, um sie in Worte zu

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