Unerwartet (German Edition)
bebenden Hände.
„Geht es dir besser, nachdem du es rausgelassen hast?“
„Nicht wirklich.“ Selbst meine Stimme zittert.
„Du kennst mich kaum, das ist mir bewusst. Auch wenn ich nicht deine Mutter bin, habe ich sehr wohl eine mütterliche Umarmung für dich, Kati. Denn manchmal, wenn alles über einem zusammenbricht, dann ist das alles, was man braucht.“
Es klingt so richtig, obwohl ich von diesen Umarmungen nur noch eine ganz dunkle Erinnerung habe. Maria setzt sich neben mich und öffnet ihre Arme für mich. Keine Forderungen, keine Erwartungen, keine Versprechungen. Einfach nur Trost.
Ich muss nichts tun, außer ihr ein kleines Stück entgegenzukommen. Liebevoll schließt sie mich in ihre Arme und hält mich. Erst fühlt es sich befremdlich an, doch nach und nach reißt es alle Dämme ein. Acht Jahre habe ich es in mir zurückgehalten, den ganzen Schmerz über den Verlust meiner Eltern. All die Last der Verantwortung. Die Wut darüber, alleine gelassen worden zu sein. Jetzt kommt alles an die Oberfläche, doch es fühlt sich gut an, es rauslassen zu können. Ich schluchze und jammere in Marias Armen und lasse mich von ihr schaukeln. Bereitwillig lässt sie sich von mir die Bluse vollheulen. Es tut so weh, doch gleichzeitig ist es befreiend. Maria sagt nichts, sie lässt mich einfach nur sein.
Ich weiß nicht, wie lange wir so sitzen, doch irgendwann dröhnt mein Kopf vom ganzen Weinen. Die Tränen versiegen langsam und ich brauche dringend eine Kopfschmerztablette.
„Danke“, sage ich mit heiserer Stimme, als ich mich aus ihrer Umarmung befreie.
„Dafür bin ich da. Aber jetzt solltest du nach deinen Männern sehen. Die Drei machen sich große Sorgen.“
35.
„Kann ich noch etwas sagen?“ Maria nimmt meine Hände, damit ich sie ansehe. Wir stehen an der Wohnungstür, wo ich sie gerade verabschiede, bevor ich zu meinen Männern gehe.
„Natürlich.“ Auch wenn ich es vielleicht nicht hören möchte.
„Ich werde eine Weile brauchen, das zu verarbeiten, was ihr heute unbewusst öffentlich gemacht habt. Ich liebe meinen Sohn, das wird sich nie ändern. So glücklich wie in den letzten Wochen, habe ich ihn noch nie erlebt. Ich bin ganz ehrlich, Kati. Bis jetzt weiß ich noch nicht, was ich davon halten soll, aber wenn es das ist, was mein Sohn will, dann werde ich mich irgendwie damit arrangieren. Mein Mann wird diesen Brocken nicht so leicht schlucken, deswegen werde ich ihn allmählich an die Sache heran führen. Ich möchte dich nur vor Pauls Vater warnen. Seine Eltern sind wesentlich konservativer, auch wenn Paul das vielleicht nicht so bewusst ist. Pauls Vater ist ein herzensguter Mann, aber seine Toleranz gegenüber Beziehungen, die nicht nur zwischen Mann und Frau stattfinden, ist gering.“
„Wieso habe ich das Gefühl, du weißt schon länger, was zwischen uns los ist? Was du mir gerade gesagt hast, ist dir nicht erst in den letzten fünf Minuten durch den Kopf gegangen.“
Maria lächelt.
„Mein Sohn hat mir immer mehr verraten, ohne dafür die eigentlichen Worte aussprechen zu müssen. Ich hatte den Verdacht schon seit einer Weile, aber als ich euch gestern zusammen gesehen habe, gab es keinen Zweifel mehr.“
Ich fühle mich schlecht, dass wir so gestartet sind, vor allem, weil sie mir so geholfen hat.
„Maria, ich würde gerne einen neuen Anfang machen. Du musst einen fürchterlichen Eindruck von mir haben.“
Sie schüttelt den Kopf, bevor ich eine Gelegenheit bekomme weiter zu reden.
„Unsinn, Kati. So schnell bin ich nicht abzuschrecken. Aber ich mache dir einen Vorschlag. Du lässt dir von Jakob meine Telefonnummer geben und dann verabreden wir uns zum Mittagessen. Ich möchte wirklich mehr von dir erfahren.“
„Das machen wir. Danke noch mal, wegen vorhin.“
„Es gibt nichts, wofür du dich bedanken musst. Du warst auf dem besten Wege, ganz böse abstürzen. Ich habe nichts anderes getan, als dich aufzufangen. Jetzt geh zu deinen Männern. Die warten schon.“
Sie umarmt mich zum Abschied und zum ersten Mal kann ich es einfach nur annehmen.
Paul und Jakob sitzen alleine im Wohnzimmer. Von Ben ist nichts zu sehen.
„Wo ist er?“, frage ich. Ich habe das Gefühl, mich entschuldigen zu müssen, aber ich weiß überhaupt nicht, wo ich anfangen soll.
„Er ist in seinem Zimmer. Du musst mit ihm reden. Er weiß überhaupt nicht, was gerade passiert ist.“
Jakob sitzt so nah an Paul, dass sie praktisch aufeinander sitzen.
„Seid ihr
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