Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
glaubte, er wollte mich beißen. Doch dann schubste Floppy den Ball mit seiner Nase noch ein Stückchen näher. Ich blickte in seine großen Augen, die verspielt, aber trotzdem ganz gelassen zurückschauten. Komischerweise wurde mir dadurch leichter ums Herz. Wenn ich es geschafft hatte, mich gegen Sascha zu wehren, dann brauchte ich auch jetzt keine Angst zu haben. Ich hob den Ball auf, woraufhin Floppy freudig mit dem Schwanz wedelte. Ich holte weit aus und warf den Ball über den Hof. Bevor ich es gemerkt hatte, war Floppy losgesprintet. Der Ball hatte noch nicht den Boden berührt, da sprang er hoch und packte ihn. Mit der Beute im Mund machte er kehrt und rannte gradewegs zu mir. Er ließ den Ball vor meine Füße fallen und hüpfte auf und ab, als könnte er es kaum abwarten, wieder loszurasen.
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Ein Spiel mit dem Feuer
MASOUD Die Hitze der Flammen wärmte mein Gesicht. Ich fuhr mit der Hand über meine Wangen. Sie waren glühend heiß. Auf einer Bank lehnte ich mich ein wenig zurück und beobachtete Milad und Mojtaba, die sich auf der anderen Seite der Feuerstelle hingehockt hatten und mit Stöcken spielten. Sie sahen aus wie Magier, die es vermochten, Flammen zum Tanzen zu bringen. Mit ihren glühenden Zauberstäben zeichneten sie Figuren in den Himmel, die augenblicklich zu den Sternen hin verrauchten.
Das erinnerte mich an unsere Abende in Schahmirzad. Als ich das letzte Mal vor einem Feuer stand, waren wir im Landhaus unserer Großeltern zu Besuch. Vor uns hatten baumhohe Flammen gelodert, die das Abfallholz der gestutzten Obstbäume in Asche verwandelten.
Etwas weiter weg am Esstisch war ein Mädchen, zu dem ich immer wieder hinüberschielte. Sie hieß Carina und stand mit ihren Eltern vor den reichlich mitgebrachten Salaten, Broten und Massen an Grillfleisch. Madar hatte sich zu ihnen gesellt und nippte an einem Sektglas. Es war neu, dass unsere Mutter Alkohol trank. Im Iran war das streng verboten. Schon vorher hatte sie mich überrascht, als sie Carinas Vater mit einem Kuss auf die Wange begrüßte. Bislang hatte ich noch nie gesehen, wie sie einen fremden Mann küsste. Aber Madar schien das gar nicht zu stören.
Seitdem unsere Sozialarbeiterin und mittlerweile Freundin, Christa, sie mit zur Flüchtlingshilfe genommen hatte und Madar sich dort einbrachte, hatte sie viele Bekanntschaften gemacht. So wie an diesem Abend, an dem Carinas Eltern eine Feier zum Jahrestag der Gründung der Flüchtlingshilfe veranstalteten und dazu alle Mitglieder und ihre Familien eingeladen hatten.
Obwohl ich die meisten nur vom Sehen kannte, fühlte ich mich hier wohl. Ihre Warmherzigkeit erinnerte mich an unsere Familie im Iran. Sie waren hilfsbereit und unterstützten uns, wo sie konnten. Auch heute hatte uns Carinas Vater bei der Begrüßung mit einer tollen Nachricht überrascht: Er hatte irgendwo einen alten Fernseher aufgetrieben, den er morgen vorbeibringen würde.
Was für ein Zufall, dachte ich mir, dass ich ausgerechnet mit seiner Tochter zusammen die fünfte Klasse besuchte. Vorher hatte ich sie nur ein paar Mal bei Veranstaltungen von der Flüchtlingshilfe gesehen. Aber jetzt fuhren wir sogar gemeinsam mit dem Fahrrad zum Unterricht. Das verdankte ich allein Madar und Christa.
Nach einem knappen Jahr Hauptschule waren Mojtaba und ich auf die Realschule gekommen. Dieser Wechsel war jedoch keineswegs so leicht gewesen, wie wir es uns gedacht hatten. Weder unser alter Lehrer noch der Schuldirektor hatten sich über unsere Absicht sonderlich begeistert gezeigt, denn sie waren der festen Überzeugung, dass wir es nach dieser kurzen Zeit in Deutschland nicht schaffen würden. Nur dank Madars und Christas Hartnäckigkeit gelang es, diese Mauer der Skepsis zu durchbrechen: Unsere Mutter übernahm mit ihrer Unterschrift die Verantwortung für den Wechsel. Christa vertraute uns blind und überzeugte die neue Schule von unseren Fähigkeiten. Bei Milad lief es nicht viel anders. Nach der Empfehlung seiner Grundschullehrerin sollte er das Gymnasium besuchen, doch auch er traf dort auf überraschte Gesichter und erneut musste sich Christa für ihn starkmachen.
Madar legte zwar schon immer großen Wert auf unsere Bildung. Aber ich hatte das Gefühl, dass es für sie in Deutschland noch wichtiger geworden war. Sie betonte immer wieder, dass wir in dieser Gesellschaft nur einen Platz finden könnten, wenn wir in der Schule gut seien. Auf unsere Unzufriedenheit in der Auffangklasse hatte sie schnell reagiert und sich
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