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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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anzusehen. Seine Augen fixierten einen Ast, dessen Spitze er in die züngelnden Flammen hielt, damit sie sich entzündete.
    »Hör doch endlich mit dem Kinderkram auf! Ich wollte mit dir reden!«
    Er schaute mich verwundert an. »Über was denn?«
    Über Masoud , lag mir auf der Zunge, doch ich zögerte. Schließlich hauchte ich nur: »Ach, nichts. Ist nicht so wichtig«, und wandte mich schnell von ihm ab. Es hatte keinen Sinn, mit ihm zu reden. Was ich zu sagen hatte, musste Masoud selbst hören. Früher gab es auch keine Geheimnisse zwischen uns, wir waren wie offene Bücher füreinander; wieso sollte es jetzt anders sein?
    Während ich diese Frage innerlich wiederholte, ging ich zu Masoud herüber. Carina wollte ich absichtlich keine Beachtung schenken, weshalb ich ihn auf Persisch ansprach: » Miyay Piaderawi? « – Kommst du mit spazieren?
    Er überlegte kurz, dann nickte er zustimmend und stand auf. Alles richtig gemacht, lobte ich mich. Freude stieg in mir auf und ich schlang meinen Arm um Masouds Hals. Ich wollte schon loslaufen, doch er hielt dagegen, drehte sich zu Carina und nahm ihre Hand. Sie sollte mitkommen.
    Die beiden gingen voran und mit widerwilligen Schritten zuckelte ich hinterher – allerdings mit zwei Metern Abstand. Es war eine sternlose Nacht, deren Dunkelheit nur vom Licht der Laternen durchbrochen wurde. Ich wünschte mir einen Stromausfall herbei, wie er alle paar Monate ganz Ekbatan überzogen und in eine schwarze Maske gehüllt hatte. Dann müsste ich nicht mehr den Anblick der beiden vor mir ertragen, nicht mehr zusehen, wie sie Schulter an Schulter über die Straße schlenderten.
    In mir tobten wüste Fragen: Mochte Masoud mich etwa nicht mehr, seitdem wir getrennte Klassen besuchten? Warum fuhr er morgens lieber mit ihr zur Schule als mit mir? Hatte ich etwas Falsches getan? Wenn ja, wieso sagte er es mir nicht? Ich wollte ihm gestehen, dass ich ihn vermisste. Und ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich ihm nicht auch fehlte. Aber sie war ja noch da. Sie, sie, sie. Sie war schuld! Sie hatte sich zwischen uns geschoben! Sie hatte ihn verhext! Ich wäre am liebsten losgelaufen, hätte Masouds Hand gepackt und wäre mit ihm in die Dunkelheit verschwunden. Aber … ich tat nichts. Schritt für Schritt folgte ich ihnen in der Hoffnung, dass mein beredtes Schweigen all diese Fragen in Masouds Ohr flüstern würde, ihm erzählen würde, was mir auf der Seele lastete.
    Wir erreichten ein dicht bewachsenes Kornfeld. Die ordentlich aneinandergereihten Ähren bildeten eine Decke, durch die der sanfte Wind kleine Wellen rollte. Carina zog an Masouds Hand und zerrte ihn in das Feld. Ich befürchtete, sie würden gleich darin verschwinden und rief: » Mano tanha misari! « – Du lässt mich allein!
    »Komm doch mit«, antwortete Masoud knapp.
    » Faramusch kon! « – Vergiss es! Und schon wurde er nach unten gezogen.
    Unentschlossen trat ich von einem Fuß auf den anderen. Sollte ich einfach weggehen? Vielleicht würde sich Masoud doch für mich entscheiden und zurückkommen. Ich würde noch ein wenig warten, nahm ich mir vor, doch im selben Augenblick hörte ich Carinas Kichern, das wie eine feine Nadel in mein Fleisch stach. Wie verrückt rannte ich los. Ich lief und lief ohne ein Ziel. Gedanken wirbelten durch meinen Kopf und trieben mich an wie eine Horde bissiger Hunde. Ich raste an dunklen Häusern vorbei, bog in eine unbebaute Seitengasse ab und erreichte den Waldrand. Ohne anzuhalten schlug ich die Richtung eines finsteren Trampelpfads ein. Zwischen Bäumen und Sträuchern hörte ich mein hastiges Stampfen. Plötzlich stolperte ich über eine hervorstehende Wurzel und fiel der Länge nach hin. Keuchend rappelte ich mich auf und setzte mich auf den feuchten Boden. Ein stechender Schmerz durchzuckte mein aufgeschürftes Knie. Doch das interessierte mich nicht. Masouds Verhalten verletzte mich viel mehr. Ich fühlte mich verraten. Wie konnte er sich nur mit Carina abgeben? Sie war erst zehn, zwei Jahre jünger als wir, und lebte in ihrer makellosen Welt – wie all die anderen aus unseren Klassen. Keiner von ihnen verstand auch nur ein einziges unserer Probleme. Ich würde niemals vergessen, wie sie am ersten Schultag auf mein Gesicht gezeigt und gelacht hatten. Zunächst hatte ich keine Ahnung, warum sie das taten, doch dann wurde mir schnell bewusst, dass sie über meinen Schnurrbart aus dünnem Flaum spotteten. In der großen Pause malten sich einige Jungs die Oberlippen an

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