Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Madar zum Flohmarkt, um günstig weitere Kleinigkeiten zu ergattern – etwa Geschirr für die Küche oder Blumenvasen, die sie dann auf einen Bruchteil des verlangten Preises herunterhandelte. Fast taten mir die Verkäufer leid, die es mit Madars Hartnäckigkeit aufnehmen mussten. Wenn sie nach Hause kam, präsentierte sie uns stolz ihre Trophäen, für die sie meist nur eine Mark oder fünfzig Pfennig bezahlt hatte. So machten wir die Wohnung Stück für Stück gemütlicher und ich fühlte mich dort inzwischen richtig wohl.
Tatsächlich blieben wir aber von den angekündigten Nachteilen der Wohnung nicht verschont. Manchmal tauchten unbekannte Deutsche auf, die unsere Baracken mit misstrauischen Blicken absuchten. Eines Tages ging Madar neugierig zu einer jungen Frau und fragte, was los sei. Widerwillig gab sie zu, dass ihr Fahrrad geklaut worden sei und sie gehofft habe, es bei uns zu finden.
Ein anderes Mal – es war warm und wir grillten vor unserer Haustür – kam das Kind einer Familie, die mit ihrem Hund über den Parkplatz lief, neugierig zu uns herüber. Als die Eltern das bemerkten, rannten sie ihm schnell hinterher und zerrten es am Arm zurück. Dabei schauten sie uns besorgt an, als wären wir Aussätzige, die den Kleinen mit einer schlimmen Krankheit infizieren könnten. Ich tat zwar so, als würde mich das nicht groß kümmern, und sagte mir nur, was für dumme Leute das doch seien. Aber in Wirklichkeit schmerzte es mich sehr.
Und dann waren da noch unsere eigenen Nachbarn, die ein Problem mit uns hatten. Jede dieser vier Baracken war eigentlich für zwei Familien bestimmt, sodass normalerweise ungefähr acht Personen darin lebten. Weil wir aber eine für uns allein bekommen hatten, waren sie überzeugt, dass wir Spione des Sozialamts wären. Und sie behandelten uns auch dementsprechend.
»Also, Dario, ich habe eine Idee für den Flyer. Masoud hat doch letztens bei der Probe Unmengen an Fotos geschossen. Damit lässt sich sicherlich was machen.«
»Wenn du meinst, Chef«, antwortete er wieder grinsend.
»Das wird bestimmt gut!«
»Hast du die Fotos überhaupt hier?«, fragte Dario.
Ich nickte und streichelte zärtlich den großen grauen Kasten neben dem Schreibtisch. »Klar, alles hier drin. Auf diesem Prachtstück von Computer.«
»Du redest doch nicht von dieser Schnecke, die längst ins Museum gehört, oder?«
Dario machte sich gerne über unseren Computer lustig, weil er uralt war. Doch ich war stolz auf ihn. Seitdem ihn uns ein Mitglied der Flüchtlingshilfe geschenkt hatte, entdeckte ich mit ihm meine größte Leidenschaft: das Programmieren. Ich fing mit kleinen blinkenden Kästchen an, doch bald entwickelte ich einfache Computerspiele oder andere nützliche Dinge wie einen Vokabeltrainer für die Schule. Ich konnte mich nach Herzenslust austoben und in der Arbeit versinken. Wenn es mir mal schlecht ging, etwa weil wir gerade Probleme mit der Ausländerbehörde hatten, dann brauchte ich mich nur an den Rechner zu setzen und meinen Gedanken freien Lauf zu lassen. Eigentlich war es ähnlich wie der Bau der Tschar-tscharche im Iran. Ich war dann ganz bei mir. Nur ich und mein denkender Kopf.
Diese Begeisterung für das Programmieren war es auch, die Dario und mich verband. Aus »meinem« Programm wurde »unser« Programm und bald machte alles doppelt so viel Spaß. Wir nahmen sogar an Informatikwettbewerben teil, bei denen wir uns zum Teil monatelang die Zähne an einem Problem ausbissen. In der Schule verbrachten Dario und ich alle Pausen zusammen und diskutierten dann über die aktuelle Aufgabe. Andere, die dabeistanden, hielten es meistens nicht lange aus und verschwanden wieder mit einem genervten »Mann, ihr Nerds!«. Aber das war mir egal. Ich hatte einen Freund, mit dem ich einfach ich selbst sein konnte.
»Bei dem Flyer muss das Konzert ein Riesenerfolg werden!«, witzelte Dario. Wir waren mit unserer Arbeit fertig und betrachteten das Ergebnis auf dem Bildschirm.
Wir hatten auf einem Foto von Metallica, das wir aus dem Internet gezogen hatten, die Bandmitglieder ersetzt. So standen nun Masoud, Mojtaba, Timo und ich auf einer gewaltigen Bühne.
»Sieht täuschend echt aus«, sagte ich und drückte die Tastenkombination, um das Dokument auf eine CD zu brennen. »Fünf Stars sind geboren«, schob Dario nach. »Von einer Schnecke!«
MASOUD Als es klingelte, packte ich mein Heft und mein Federmäppchen in den Rucksack und eilte als Erster aus dem Klassenzimmer. Leichtfüßig
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