Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
»Mojtaba, tu nicht so! Du warst nicht viel besser.« Sein süffisantes Lächeln, als er das sagte, war berechtigt. Beim Computerspielen konnte niemand ihm das Wasser reichen.
»Ja, ja. Erst die Kämpfe am PC und danach das Wortgefecht. Es reicht, ihr Kampfhähne!«, sagte Masoud in einem belehrenden Tonfall. Er tat gern so, als wäre er abgeklärter – allerdings nur solange, bis er selbst am PC saß und völlig berauscht zockte.
»Und was machen wir als Nächstes?«, fragte Dario. »Vielleicht mal was ganz anderes?«
Alle überlegten.
»Unsere Eltern waren letztes Wochenende da oben in Schweden und Finnland. Was die erzählen, haut einen echt um.« Timos Augen leuchteten auf. »Ich hätte da Lust drauf!«, fuhr er fort, aber dann hielt er plötzlich inne. Er senkte den Blick, als wäre ihm etwas eingefallen. Mit leiser Stimme sagte er dann: »Ähm, das erzähl ich natürlich für später, wenn ihr eure Aufenthaltspapiere habt. Dann packen wir in den Ferien das Nötigste ein und hauen ab. Was meint ihr?«
»Habt ihr eigentlich was von eurem Anwalt gehört? Wie hieß er nochmal?«, hakte Dario rasch nach.
»Herr Stern. Unser Stern am Himmel. Hoho«, antwortete ich schmunzelnd.
»Beschissene Residenzpflicht!«, fauchte Masoud. »Wir dürfen ja nicht einmal nach Bremen. Stockholm und Helsinki sind wie andere Planeten. Aber es dauert nicht mehr lange. Meint zumindest Herr Stern. Nach vier Jahren kämen die meisten dran. Mitte ’97 wurde unser Asylantrag abgelehnt, jetzt haben wir 2001. Könnte also dieses Jahr noch so weit sein.« Dann plusterte er seinen Brustkorb auf, streckte die Arme etwas auseinander und begann mit der vorgeschobenen Unterlippe betont ironisch zu reden: »Dann werden wir gemessenen Schritts zu den Pforten des Jüngsten Verwaltungsgerichts nach Münster schreiten.«
Lauthals prustete ich los. Niemand konnte Sterns kehlige Stimme besser imitieren als Masoud.
»Wie lächerlich das alles ist. Ihr lebt doch schon hier, wieso lassen die euch nicht in Ruhe?«, stellte Timo eher fest, als dass er fragte. »Und dann heißt es, die Ausländer wollen sich nicht integrieren. Man pflastert euch den Weg mit Tausenden von Problemen und verlangt, dass ihr trotzdem klarkommt. Das ist wie ein schlechter Film. Aber das sehen ja die Deppen nicht, die so was sagen. Und wenn man glaubt, blöder geht’s nicht, kommen die hirnlosen Glatzen. Letzte Woche haben sie wieder unsere Schulwand vollgeschmiert: ›Ausländer raus‹ und ›Deutschland den Deutschen‹.«
Es wurde still. Das Klappern der Wagen schien auf einmal ohrenbetäubend.
»Was machen wir jetzt morgen?« Dario versuchte abzulenken. »Wollen wir wieder PC zocken? Ich sorge auch für massenweise Chips und Süßkram!«
»Morgen geht nicht, da proben wir doch«, antwortete Milad. »Willst du nicht mitkommen? Wir haben ein paar neue Lieder, die du noch nicht gehört hast. ›Das Ti-MMM‹ wird immer besser! Und morgen sind doch eure Eltern wieder unterwegs. Wir können in eurer Garage mal richtig aufdrehen. Komm schon!« Milad versetzte Dario einen leichten Schubs.
Er guckte skeptisch und fragte: »Wie viele Lieder habt ihr jetzt zusammen?«
»Fünf haben wir richtig gut drauf und drei sind wackelig«, antwortete Milad. »Wenn wir die auch noch gut hinkriegen und bald endlich einen Schlagzeuger finden, dann sind wir reif für den ersten Auftritt.« Ein Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus.
Timo musterte uns drei von oben bis unten. »Dann können wir uns endlich als richtige Rocker bezeichnen. Eure zerlumpten Klamotten passen ja schon perfekt dazu.«
»Du Vollidiot!«, mokierte ich mich künstlich, sprang ihm hinterher und nahm ihn in den Schwitzkasten. »Los, entschuldige dich!« Timo krümmte sich vor Lachen. »Ich kann auch fester! Na mach schon, Schwätzer!« Ich ließ ihn los und zerzauste seinen blonden Haarschopf.
Milad, Masoud und Dario wieherten über das Schauspiel, das sich ihnen bot. Timo setzte noch einen drauf: »Masoud, du lässt dir deinen Schnurrbart wieder wachsen, so wie auf diesen Fotos aus der fünften und sechsten Klasse. Der Schnurrbart, die langen Locken, deine rote Gitarre – das ist perfekt: Carlos Santana höchstpersönlich. Und bei unserem ersten Gig spielen wir dann als Zugabe ›Oh, Maria, Maria‹.«
»Jungs, ich habe eine richtig bekloppte Idee«, schaltete ich mich ein. »Wieso …«, ich machte eine Pause, um meinen Gedankengang noch abzuschließen.
»Sag schon!«
»Ja, ja. Warte doch!« Ich kniff
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