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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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hatten die Erhöhung, von der die Garage nahtlos zum Keller überging, in eine richtige Bühne verwandelt. Die Wände waren mit schwarzen Müllsäcken verkleidet, die sie auseinandergeschnitten hatten. Und durch einen Vorhang aus Plastik hatten wir sogar einen echten Backstagebereich. Lichterketten säumten den Raum und zusammen mit den ausgerollten Teppichen verliehen sie ihm eine besondere Atmosphäre – fast als wäre er ein gemütliches Wohnzimmer. In eine Ecke hatten sie alte Sofas gestellt, die zum Hineinsacken einluden. Darüber hing ein riesiges Stoffbanner, auf dem mit großen Buchstaben unser Bandname stand – »Das Ti-MMM«. Die verstaubte Garage ähnelte jetzt einem kleinen Club und hatte sogar besondere Gimmicks: Zwei Papiermülltonnen am Rande der Bühne waren als eine Art Basketballkorb für die Bierflaschen gedacht.
    Ich schmiss mich in ein weiches Sofa hinein und schloss die Augen. Ein mulmiges Gefühl machte sich in mir breit. Wir alle würden zum ersten Mal auf der Bühne stehen. Was, wenn ich etwas vergaß, mich verspielte oder falsch einsetzte? Ich versuchte, die Düsenjäger in meinem Bauch zu ignorieren. Immer lässig bleiben und sich nichts anmerken lassen, beruhigte ich mich selbst. So machten es schließlich auch die Rocker, die ich selbst als Zuschauer nickend bewundert hatte.
    Ich wünschte mir, Madar könnte an diesem Abend dabei sein. Ausgerechnet heute hatte sie Nachtdienst und musste arbeiten. Sie hatte vor einigen Monaten eine Ausbildung zur Krankenschwester begonnen. Damit verwirklichte sie ein Stück ihres größten Jugendtraums: Ärztin zu werden. Im Iran ging dieser Wunsch nicht in Erfüllung, und jetzt war sie der Meinung, dass es dafür zu spät sei. Aber als Krankenschwester schlug sie wenigstens die gleiche Richtung ein.
    Der Erlaubnis, überhaupt eine Ausbildung anfangen zu können, war ein langes Ringen mit den Behörden vorausgegangen. Viele hatten diese Idee von vornherein für irrwitzig gehalten: Es sei ausgeschlossen, als Asylbewerber eine Genehmigung für eine Ausbildung zu bekommen. Und das stand tatsächlich auch so in der Antwort der Ausländerbehörde. Sie schrieben, dass Asylbewerbern eine Ausbildung verboten sei, da ihr Verbleib in dem Land ungewiss sei. Ihr Antrag könne abgelehnt werden und sie müssten in ihre Heimat zurück. Eine Ausbildung kostet viel und deshalb will man nicht in jemanden investieren, von dem man später gar keinen Nutzen hätte. Außerdem kann eine Ausbildung den Aufenthalt eines Asylbewerbers verfestigen und bei der Abschiebung – im beschönigenden Behördendeutsch »aufenthaltsbeendende Maßnahmen« genannt – zu unliebsamen Schwierigkeiten führen.
    Überhaupt ist es für Asylbewerber in Deutschland schwierig, eine Arbeit aufzunehmen. Es ist nicht damit getan, dass man eine Stelle findet und dort nach einer erfolgreichen Bewerbung eingestellt wird. Asylbewerber haben keine generelle Arbeitserlaubnis, sondern müssen diese bei der Behörde für einen bestimmten Arbeitsplatz beantragen. Sie haben außerdem nur einen sogenannten »nachrangigen Arbeitsmarktzugang«, weshalb die Behörde zuerst überprüft, ob die Stelle nicht mit anderen besetzt werde kann. Wenn ein Asylbewerber tatsächlich einen Job findet, wird die Sache also zuerst von der Arbeitsagentur bearbeitet. Diese fordert dann den potenziellen Arbeitgeber auf, einen »Vermittlungsauftrag« zu machen, und schickt ihm bis zu sechs Wochen lang Arbeitslose mit Vorrecht – zum Beispiel Deutsche, EU -Bürger und Ausländer mit unbeschränkter Arbeitserlaubnis. Nur, wenn der Arbeitgeber gut begründen kann, dass darunter kein geeigneter Bewerber war, somit also »bevorrechtigte« Arbeitnehmer nicht zur Verfügung stehen, gibt die Arbeitsagentur die Zustimmung zu der Arbeitserlaubnis. Am Ende überprüft aber noch die Ausländerbehörde, ob nicht andere Gründe gegen eine Arbeitserlaubnis sprechen – etwa die Weigerung eines Asylbewerbers, sich abschieben zu lassen. Erst nach all diesem Behördenhickhack erlaubt sie dem Ausländer schließlich, die Arbeit aufzunehmen. Und auch das nur zeitlich beschränkt.
    Trotz dieser vielen Hindernisse hatte Madar am Ende tatsächlich das Unmögliche möglich gemacht. Nachdem sie eine Erklärung unterschrieben hatte, dass sie ihre Ausbildung abbreche, wenn unser Asylantrag abgelehnt würde, durfte sie die Ausbildung beginnen. Über diese Formalität dachten wir aber nicht nach. Unser Anwalt hatte uns versichert, dass das Gericht bald eine

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