Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
mir mit Daumen und Zeigefinger ins Kinn. »Wieso machen wir nicht einfach aus der Probe morgen ein Konzert?«
»Aber …«
»Moment! Bevor jemand widerspricht, lasst mich zu Ende reden: Ihr habt doch selbst gesagt, dass eure Eltern verreisen. Wir hätten also eure Doppelgarage, wo bestimmt fünfzig Leute reinpassen. Mit den paar Liedern, die schon richtig gut laufen, kriegen wir dreißig Minuten zusammen. Und klar, ohne Schlagzeuger geht’s nicht richtig ab, aber egal, das ist jetzt unsere Chance. Außerdem gibt’s nach dem Auftritt noch eine Party. Wir müssen nur irgendwoher eine Anlage besorgen. Das klappt schon. Und jetzt sagt bloß, ihr seid nicht dabei.«
Ich holte tief Luft und fixierte Masoud, nur ihn. Er war schließlich der Kritischste unter uns. Wenn er keinen Haken finden und zustimmen sollte, dann würden die andern ganz bestimmt nicht widersprechen. Es verging eine Weile, ehe er die Stille durchbrach: »Mojtaba, wenn ich in zwanzig, dreißig Jahren ein Gesicht voller Sorgenfalten habe, dann kannst du sicher sein, dass ich die meisten dir und deinen Ideen verdanke!« Er machte eine Pause, senkte den Blick und rieb sich mit den Händen übers Gesicht. Als er wieder aufsah, trug er ein dünnes Lächeln. »Aber dieses Mal, dieses eine Mal, muss ich zugeben, dass du doch zu etwas zu gebrauchen bist.«
Vor Freude packte ich Masoud und gab ihm einen dicken Schmatz auf die Backe.
»Jungs, Jungs, Jungs!«, unterbrach uns Timo. »Wir sind doch nicht im Iran! Knutschen könnt ihr gleich zu Hause. Lasst uns doch bei der Sache bleiben. Was haltet ihr davon, wenn Dario und ich das Bier und die anderen Getränke spendieren?«
»Nein, Timo«, antwortete Milad. »Wir teilen alles.«
»So ein Quatsch!«, verteidigte Dario seinen Bruder. »Ich krieg ja schon alleine mehr Taschengeld als ihr drei zusammen. Also kaufen wir die Getränke. Keine Widerrede!«
»Und lasst uns doch beim Jugendzentrum nachfragen, ob die uns nicht eine Musikanlage leihen können«, schlug Masoud vor.
»Jungs, das wird was!«, sagte ich so aufgeregt, dass meine Stimme zitterte.
»Wir haben doch morgen die ersten beiden Stunden frei, oder?«, wollte Milad von Dario wissen.
Der nickte.
Milad fuhr fort: »Und wir müssen irgendwie für den Auftritt Werbung machen. Wieso setzen wir beide uns nicht in den Freistunden hin und machen was Schönes? Entwürfe für ein Plakat und für Flyer.«
»Dann gebt ihr mir in der ersten großen Pause die Sachen auf CD «, ergänzte Masoud den Plan. »Ich druck sie schon in der Schule aus. Überlasst das mir. In der zweiten großen Pause treffen wir uns und verteilen die Flyer an jeden, der uns über den Weg läuft.«
»Ja!«, schrie ich aufgeregt bis in die Haarspitzen. »Alle sollen mitkriegen, was morgen Abend los sein wird: ›Das Ti-MMM‹ rockt!«
MILAD Am nächsten Morgen saßen Dario und ich zusammen und suchten nach einer Idee für die Flyer und Plakate.
»Hey Chef, schieß los: Wie machen wir es?«, fragte Dario grinsend.
»Wieso bin ich auf einmal der Chef?«
»Wir sind bei euch im Arbeitszimmer. Also bist du der Chef.«
Da hatte er recht. Wir saßen in einem Arbeitszimmer, das tatsächlich zu unserer neuen Wohnung gehörte. Im vergangenen Jahr waren wir umgezogen. Eigentlich war sie eine kleine Holzbaracke, eine von vieren am Rand eines großen Parkplatzes. In allen waren Asylbewerber untergebracht. Als uns das Sozialamt damals dieses Fertighaus anbot, versuchten uns Freunde aus der Flüchtlingshilfe vom Umzug abzubringen, weil die Wohnungen einen sehr schlechten Ruf hatten. Trotzdem entschieden wir uns dafür. Zu meiner großen Freude: Denn jetzt besaßen wir knapp sechzig Quadratmeter, aufgeteilt auf vier Räume. So viel Platz hatten wir seit unserer Flucht aus dem Iran nicht mehr gehabt. Madar bekam ihr eigenes Zimmer und ein anderes wurde zu unserem Wohnzimmer. Wir überlegten lange, wie wir die zwei übrigen aufteilen sollten. Zwei Schlafzimmer? Aber wer schläft bei wem? Schließlich versuchten wir, die Sache so fair wie möglich zu lösen, und erklärten eines zum gemeinsamen Schlafzimmer und das andere zum Arbeitszimmer.
In die neuen Räume zogen auch neue Möbel ein. Die Wohnzimmereinrichtung bestand aus einem Sofa, einem Tisch, ein paar Stühlen und einer kleinen Vitrine, die wir aus einem Gebrauchtwarenladen ergattern konnten. Außerdem spendierte uns die Schule drei ausrangierte Holztische und Stühle, mit denen wir das Arbeitszimmer bestücken konnten. Jeden Monat ging
Weitere Kostenlose Bücher