Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Kollegen, die auf mich gewartet hatten. Wir verstanden uns sehr gut und es störte sie nicht, dass ich diesmal mit anderen Dingen beschäftigt war und sie die Leitung der Sitzung alleine übernehmen mussten. Außerdem freuten sie sich genauso wie ich auf das Konzert. Und so, während ich unter dem Lehrerpult mit meiner Schere schnippelte und die DIN -A4-Blätter zu Plakaten verklebte, füllte sich der Physiksaal langsam mit Klassensprechern, die Tagesordnung ging durch die Reihen, ein TOP nach dem anderen kam dran, es wurde heiß diskutiert und Positionen an die Tafel geschrieben.
Den Stapel Reklame in der Hand, traf ich Milad, Mojtaba und Dario in der zweiten großen Pause. Nun sollte die Werbetrommel für »Das Ti-MMM« gerührt werden. Ich verteilte die bunten Papierbögen ringsum und jeder schlug eine andere Himmelsrichtung ein. Milad übernahm den Nord-, Mojtaba den Südschulhof, Dario den West- und ich den Ostflügel. Umgeben von einem ungeheuerlichen Stimmengewirr, bahnte ich mir meinen Weg durch die tobenden Schüler. Die Plakate klebte ich mit Tesa an gläserne Türen, Infotafeln und Säulen. Die Flugblätter legte ich auf den Holztischen aus, wo sie sich mit Doppelkopfkarten vermischten, und drückte sie denen in die Hände, die sich in Grüppchen stehend unterhielten. Wenige Minuten bevor die Pause zu Ende ging war die Arbeit getan. Sämtliche bunte Zettel waren mir aus der Hand gerissen worden, um die Plakate mit den großen Buchstaben bildeten sich Menschentrauben, und überall konnte man unseren Namen lesen. Ab jetzt wussten alle Bescheid. Mein Bauch kribbelte vor Aufregung.
Nach Schulschluss wartete ich an der Straße auf Timo. Wir mussten für den Auftritt eine Musikanlage besorgen. Ungeduldig hielt ich Ausschau nach ihm und hoffte, dass er sich nicht verspäten würde. Kurze Zeit später sah ich ihn über eine Grünfläche sprinten. Sein Rucksack, den er tief auf dem Rücken trug, hüpfte rhythmisch auf und ab. Er erreichte mich, ließ seine Tasche auf den Boden fallen und umarmte mich zur Begrüßung. »Na, Santana. Que pasa? « Hätte mich jemand gefragt, hätte ich Timo mit Sicherheit als meinen engsten Freund vorgestellt. Es waren nicht nur unsere gemeinsamen Interessen, die ihn für mich so kostbar machten. Im Gegensatz zu anderen Altersgenossen fühlte ich mich von ihm verstanden. Er erkundigte sich oft nach unserem Aufenthaltsstatus, hörte aufmerksam zu und sorgte sich. Timo gehörte nicht zu der Sorte, die bloß nickte und ein mitleidiges Stöhnen ausstieß. Seine Bereitschaft, Worten auch Taten folgen zu lassen, gab mir die Gewissheit, dass ich immer auf ihn zählen konnte – egal, was passierte.
Kurze Zeit später traf auch Christa ein. Sie hatte sich bereit erklärt, mit ihrem Wagen beim Transport der schweren Geräte zu helfen. Zu dritt saßen wir nun in ihrem kleinen Auto und fuhren die Hauptstraße entlang zum Jugendzentrum Lengerich. Das JZ war der einzige Ort, wo wir hofften, eine Anlage auftreiben zu können. Denn Mojtaba und ich kannten den Leiter sehr gut. Seit Jahren begleiteten wir das Jugendzeltlager im Sommer als Betreuer. Eine Woche lang schlugen wir mit etwa hundert Kindern am Rand einer umliegenden Ortschaft unsere großen Zelte auf und boten den Kleinen alles an, was ihnen Spaß machte: Spiele, Basteln, Nachtwanderungen und Wasserschlachten.
Wir erreichten endlich das Jugendzentrum Lengerich. Christa parkte auf dem Hof. Timo und ich stiegen aus, übersprangen die wenigen Treppen, öffneten die rote Metalltür und verschwanden ins mehrstöckige Backsteinhaus, an dessen Fassade sich ein riesiger bemalter Baum bis zur Dachspitze reckte. Der Jugendzentrumsleiter war sofort einverstanden und überprüfte, ob das Mischpult und zwei schwere Lautsprecherboxen gebraucht wurden, dann erhielten wir eine schnelle Bedienungsanleitung, trugen uns in einer Liste ein und schon schleppten wir unsere Ausrüstung Richtung Auto.
Mit größter Mühe quetschten wir so viel schwere Technik in den kleinen Kofferraum und auf die Rückbank, dass das Heck fast den Boden berührte. »Na hoffentlich übersteht das mein armes kleines Auto«, witzelte Christa, als wir alle wieder drinnen saßen. Sie zündete, der Motor heulte kurz auf und die Räder setzten sich in Bewegung. Langsam fuhren wir davon.
Milad, Mojtaba und Dario hatten den Auftrag, in unserer Abwesenheit die öde Garage in einen Konzertraum umzugestalten. Aber was ich sah, als wir dort ankamen, übertraf all meine Erwartungen. Sie
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