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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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Jahren. Wir hatten einen erfahrenen Anwalt, der bereits unzähligen Asylbewerbern geholfen hatte. Darüber hinaus hatte uns Herr Stern Mut gemacht: Es sei die Regel, dass uns das Bundesamt damals abgelehnt habe. Nur ungefähr ein Prozent der gesamten Gesuche gehe erfolgreich aus. Aber vor Gericht sehe es anders aus. Und deshalb hatten er und Madar sich sehr gut auf den Gerichtstermin vorbereitet: Sie waren minutiös das Anhörungsprotokoll des Bundesamtes durchgegangen und hatten die Verdrehungen und falschen Übersetzungen des damaligen afghanischen Dolmetschers, der Dari statt Farsi sprach, korrigiert und dem Gericht vorgelegt. Außerdem hatten sie alle Unterlagen über Madars politische Arbeit im Iran und in Deutschland geordnet, kommentiert und ebenfalls ans Gericht weitergereicht. Obendrein würde Madar heute selbst auf Deutsch sprechen und brauche keinen Übersetzer.
    Herr Stern war der festen Überzeugung, dass wir nur als Gewinner den Raum verlassen könnten. Er habe bei anderen Richtern dieser Kammer schon Fälle mit weniger Beweisen durchgebracht und versicherte uns, dass das Gericht angesichts Madars politischer Lebensgeschichte, ihrer umfangreichen oppositionellen Arbeit und der Richtigstellung der Aussagen bei der Anhörung nicht anders könne, als unseren Widerspruch positiv zu bescheiden.
    Die Tür des Gerichtssaals öffnete sich. Eine Stimme rief uns hinein. Der Ort, an dem über unser Leben entschieden werden sollte, war kleiner und schlichter, als ich es mir vorgestellt hatte. Er wirkte wie ein großes Büro der Stadtverwaltung. Am Kopf des Raumes befand sich das Richterpult. Dann folgten links und rechts vom Durchgang zwei langgezogene Tische und dahinter die Sitzplätze für die Zuschauer. Ein korpulenter Richter mit einer Brille, die ihm tief auf die Nase gerutscht war, saß uns mittig gegenüber. Das war also der Halbgott, um dessen Gunst wir buhlen mussten. An seiner Seite hatte eine Frau Platz genommen, die ebenfalls mit einer Robe bekleidet war.
    Madar, Milad, Mojtaba und ich setzten uns mit Herrn Stern an einen der Tische. Christa, Timo und Dario ließen sich auf den hinteren Stühlen nieder.
    Lächelnd schaute ich den Richter an und versuchte ihn gnädig zu stimmen. Doch während er mit hängenden Mundwinkeln stur geradeaus blickte, nahm er mich überhaupt nicht wahr. Schließlich geriet am Pult etwas in Bewegung. Die Gehilfin erhob sich, räusperte sich kurz und begann zu sprechen. Sie rief offiziell unseren Fall auf, fasste den Streitpunkt zusammen und eröffnete die Verhandlung. Dann rührte sich auch der Richter und wandte sich an uns: »Für mich ist der Fall eindeutig. Aus der Sachlage heraus ergeben sich keine Fragen!«
    Es wurde still. Der Allmächtige erstarrte wieder. War das alles? Sollte dieses knappe Urteil unsere langersehnte Anerkennung sein? Hatten wir es endlich geschafft? Ich wollte mich freuen, aber das Desinteresse des Richters und sein abweisender Ton passten irgendwie nicht. Hatten wir uns alle etwa verschätzt und der juristische Halbgott zog tatsächlich in Erwägung, uns abzulehnen? Aber die Verhandlung hatte gerade erst angefangen. Er musste doch erst einmal überprüfen, ob die Vorwürfe, die das Bundesamt Madar gemacht hatte und weswegen wir damals abgelehnt worden waren, überhaupt stimmten! Er musste doch auf die ganzen Sachen eingehen, die wir eingereicht hatten!
    Endlich überwand Herr Stern die Stille, die sich im Saal ausgebreitet hatte. Er stand auf und sagte: »Verehrter Herr Richter, Sie …« Da wurde er unterbrochen. »Wenn es von Ihrer Seite aus etwas vorzutragen gibt, dann soll sich die Klägerin selbst äußern.« Ohne Widerrede folgte Herr Stern der Anordnung des Richters und setzte sich wieder hin.
    Madar erhob sich zaghaft und fragte leise: »Herr Richter, bitte sagen Sie mir, was Sie von mir wissen möchten.«
    »Es ist die Aufgabe der Klägerseite, den Prozessstoff zu bestimmen«, antwortete der Allmächtige knapp.
    Erst nach mehreren Ansätzen fand Madar die richtigen Worte, um zu beginnen. Sie erklärte, warum wir den Iran verlassen mussten, warum sie hier weiterhin politisch aktiv war, und was alles bei der Anhörung vor dem Bundesamt falsch gelaufen war. Ihre wacklige Stimme hatte sich verwandelt. Sie redete eindringlich auf den Richter ein und versuchte ihm begreiflich zu machen, dass wir nicht zurückkonnten. Regungslos wie ein Stein saß der Richter auf seinem übergroßen Stuhl. Seine Augen waren zwar auf Madar gerichtet, aber er

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