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Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte

Titel: Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mojtaba Milad; Sadinam Masoud; Sadinam Sadinam
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sogar voller Begeisterung unseren Bandnamen: »Das Ti-MMM! Das Ti-MMM! Das Ti-MMM!« Ich war baff. Das hatten wir nicht verdient, zumindest nicht heute Abend. Aber trotzdem fühlte es sich unglaublich gut an. Und mir wurde bewusst, dass es den Menschen in dieser Garage nicht nur um ein Konzert ging – sie waren wegen uns gekommen. In diesem Moment schwand meine Enttäuschung über den vermasselten Auftritt. Das nächste Mal würden wir besser vorbereitet sein, nahm ich mir vor, ließ mich auf die ausgestreckten Hände meiner Freunde fallen und davontragen.

7
Mit dem Rücken zur Wand
    MASOUD Er gähnte mich geradezu an, dieser dunkle Flur ohne Bilder an den Wänden und ohne Pflanzen auf den Fensterbrettern. Ich kauerte auf einer schmucklosen Bank vor dem Raum 5 im Saal II des Gerichtsgebäudes in Münster.
    Fünf Jahre war es nun her, dass ich als Elfjähriger auf einem Stuhl vor dem Anhörungsraum gehockt und auf Madar gewartet hatte. Alles, was ich damals wusste, war, dass wir uns erst drei Monate in Teheran verstecken mussten, dann mit einem Koffer von einem unbekannten Mann, der sich als unseren Vater ausgab, in dieses Land gebracht wurden und auf keinen Fall mehr zurückgehen durften. Mehr nicht. Doch in den letzten Jahren war einiges geschehen: Aus dem Nichts hatten wir uns mit Mühe ein neues Leben aufgebaut. Wir hatten die deutsche Sprache erlernt, uns von der Hauptschule bis zum Gymnasium hochgearbeitet, spielten Fußball im Verein, hatten eine Band und Freunde fürs Leben gefunden. Unsere frühere Heimat, von der ich mich mit Tränen verabschieden musste, existierte nur noch in meinem Kopf, als Erinnerung. Sie war Vergangenheit. Die Gegenwart und die Zukunft gehörten unserem neuen Zuhause, und mittlerweile erschien es mir unvorstellbar, in den Iran zurückzukehren. Der Kontakt zu unseren Großeltern hatte nachgelassen, die Verbindung zu Farroch war völlig abgebrochen, und Pedars Ankunft hatte uns gezeigt, dass wir uns zu sehr verändert hatten, um im Iran zurechtzukommen.
    Madar trug seit unserer Ankunft kein Kopftuch mehr und zeigte ihre schönen dunklen Locken. In unserer Heimat wäre sie dafür eingesperrt worden. Sie hatte sich hier das Schwimmen selbst beigebracht und besuchte mit uns das Freibad – im Iran durfte sie nicht einmal ins Schwimmbad, um uns zuzuschauen. Und Madar wäre nach iranischem Recht immer noch verheiratet.
    Nein, unsere Zukunft gehörte hierhin. Und wir hatten viele Pläne: Ich wollte nochmal als Schülersprecher kandidieren, Milad tüftelte an seinem Projekt für den Bundeswettbewerb Informatik, Mojtaba schmiedete ständig neue Vorhaben für unsere Band, und Madar freute sich bereits, nach ihrer Ausbildung als richtige Krankenschwester arbeiten zu können. Außerdem standen wir kurz vor der Oberstufe und träumten davon zu studieren.
    Am heutigen Tag sollte der wichtigste Grundstein dieser schönen Zukunft gelegt werden. Das Gericht sollte endlich unser Leben in Deutschland offiziell besiegeln. Auf dieser Holzbank vor dem Verhandlungssaal warteten wir darauf, aufgerufen zu werden. Mittlerweile gehörten zu diesem Wir jedoch nicht nur Madar, Milad, Mojtaba und ich: Timo saß Schulter an Schulter neben mir. Seine blonden Haare waren zurechtgekämmt und er trug ordentliche Klamotten. Uns gegenüber hatte Dario Platz genommen, der genau wie sein Bruder die Schule schwänzte. Sie wollten mit uns den Moment erleben, an dem wir endlich unsere Freiheit erlangen würden. Auch Christa begleitete uns. Sie stand neben unserem Anwalt, Herrn Stern, der mit einer Robe bekleidet war.
    Timo legte seinen Arm um meinen Hals und zog mich an sich: »Wenn ihr eure Aufenthaltspapiere habt, ziehen wir los. In den Ferien schnappen wir uns Rucksäcke, packen das Notwendigste ein und brechen Richtung Norden auf. Gemeinsam machen wir die Wildnis unsicher. Wird Zeit, dass ihr mal Europas Bären kennenlernt.«
    Ich versuchte, mich aus seinem Schwitzkasten zu befreien. Doch es gelang mir nicht. »Versprochen – die Reise machen wir als Erstes«, röchelte ich. »Aber dafür musst du mich atmen lassen.« Timo lockerte seinen Griff und ich entkam. Er lächelte mich kurz an und wir beide setzten uns wieder gerade hin.
    Madar stierte die Tür des Gerichtssaals unverwandt an. Die Anspannung war ihr anzumerken. Natürlich waren wir alle aufgeregt, denn die Entscheidung unseres Lebens stand noch aus. Aber wir waren optimistisch. Diesmal unterschied sich vieles von der Anhörung beim Bundesamt vor fünf

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