Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
und ohne große Ankündigung: Man erteilte uns die Aufenthaltserlaubnis. Wir hatten sie nicht gewonnen, wir hatten sie nicht erkämpft – sie wurde erteilt . Unsere Klagen vor unzähligen Gerichten, unsere Briefe an Behörden und Minister und die Unterschriftenaktion an der Schule hatten nichts gebracht. Die Rettung kam anders: Im Januar 2005 trat ein neues Zuwanderungsgesetz in Kraft. Einer seiner Paragrafen besagte, dass volljährige Kinder eines anerkannten Asylbewerbers ebenfalls die Aufenthaltserlaubnis erhalten sollten. Zu unserem Glück war kurz zuvor Pedars Asylantrag angenommen worden. So entschied der Paragraf, dass wir bleiben durften. Worauf wir schon viele Jahre gewartet hatten, geschah jetzt fast beiläufig, ohne Aufregung und weitere Dramatik.
Madar erging es etwas später ähnlich. Nicht ihr Widerstand gegen das iranische Regime oder ihre lange exilpolitische Arbeit führten zu einer Aufenthaltserlaubnis, sondern Dutzende psychologische Gutachten, die bestätigten, dass eine Rückkehr in den Iran fatale Folgen für ihre geistige Verfassung hätte.
So bekamen wir im Jahr 2005, neun Jahre nachdem wir in Deutschland um Schutz gebeten hatten, die offizielle Erlaubnis, uns ein neues Zuhause aufzubauen. Unsere Freude darüber war anders, als viele es sich wahrscheinlich vorstellten. Sogar anders, als wir selbst erwartet hatten. Es gab kein Jauchzen, kein Ausflippen, keine große Feier – schweigsam standen wir zu viert im Kreis und umarmten uns, nicht fest, aber sehr lange.
Am Ende hielten wir ein Stück Papier in der Hand. Es besagte noch nicht viel, außer dass unser Asylbewerberleben beendet war. Wir wussten, dass die Belastungen der vergangenen Zeit noch lange nachwirken würden, doch endlich war Ruhe eingekehrt. Damit verschwanden viele Verbote und Schikanen, doch an ihre Stelle trat zunächst nur eines: Leere.
Wie Maler vor einer weißen Leinwand blickten wir auf unser neues Leben. Vorsichtig griffen wir zu den Farben.
MASOUD Als ich die Augen öffnete, war es wieder da: das Gefühl, das vom Bauch zu den Schultern und bis zum Kopf stieg. Es kribbelte und flirrte in mir wie verrückt. Ich musste Timo und Dario die unglaubliche Nachricht erzählen und sie mit demselben elektrisierenden Gefühl anstecken.
In der Ferne hörte ich Milads Wecker schrillen. Es war mir unbegreiflich, dass er am Tag, an dem wir unsere Abiturzeugnisse bekommen sollten, überhaupt dieses Geklingel brauchte. Im Persischen gibt es ein Sprichwort, das genau auf ihn passt: Wenn auch das Haus im Meer versinkt, du versinkst allein im Schlaf!
Wir teilten mittlerweile nicht mehr zu dritt einen Raum. Nachdem wir alle eine Aufenthaltsgenehmigung hatten, mieteten wir uns eine Wohnung in einem Zweifamilienhaus mit riesigem Garten – in einem normalen Wohngebiet. Ich hatte meine gesamte Jugend in Gemeinschaftsunterkünften, Asylbewerberheimen und Baracken verbracht. Dass ich jetzt hier in meinem eigenen Zimmer mit eigenen Möbeln aufwachte, war für sich genommen schon ein Kribbeln im Magen wert.
Ich stand auf und lief zu Mojtabas Tür. Vorsichtig horchte ich und klopfte dann leise. In letzter Zeit war er in seinem bordeauxrot gestrichenen Zimmer und vor allem im französischen Bett nicht immer allein. Als keine Antwort kam, drückte ich langsam die Klinke herunter und blinzelte durch einen Spalt hinein. Er döste – ohne Damenbesuch. »Zeit zum Aufstehen, du Schlafmütze«, sagte ich zu ihm. »Wir müssen bald los.« Er nickte verschlafen.
Je weiter ich die Treppen aus dem Keller nach oben stieg, umso belebter wurde es. Vom Flur aus hörte ich Mamani, wie sie lautstark in der Küche Geschirr spülte. Währenddessen unterhielt sie sich mit Madar und rief hinüber zum Schlafzimmer: »Hast du schon die Jungs aufgeweckt? Der Tag ist halb vorbei! Wir sind spät dran!« Dabei war es erst acht Uhr morgens. Ich musste lächeln, denn unsere Großmutter hatte sich anscheinend kaum verändert.
Dass sie hier in unserer Wohnung stand, kam mir immer noch unglaublich vor. Im Iran hatte Mamani ganz selbstverständlich zu unserem Leben gehört. Wenn Madar nicht zu Hause war, begaben wir uns in ihre Obhut. Und jeden Mittag nach Schulschluss empfing sie uns mit ihren duftenden Gerichten. Als wir flüchteten, riss das Band zwischen uns vollständig ab. Sie hatte nichts von unserer neuen Geschichte miterlebt: dem Versteck, dem Flug nach Deutschland, den unzähligen Asylbewerberheimen, den Ablehnungen und der Abschiebungsandrohung. Und obwohl
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