Unerwünscht: Drei Brüder aus dem Iran erzählen ihre deutsche Geschichte
Kinder?«, fragte Madar erneut, nur diesmal viel lauter.
Sie saß direkt neben mir. Ich legte meine Hand auf ihre und drückte sie leicht. »Hören Sie«, schaltete ich mich ein. »Steht es nicht im Gesetz, dass Deutschland bedrohten Menschen Schutz gewährt? Was unsere Mutter sagen will, ist, dass wir nicht verstehen können, warum sie uns dennoch in den Iran schicken wollen. ›Zurück in Ihre Heimat‹, haben Sie vorhin gesagt. Aber unsere Heimat ist jetzt Deutschland. Wir leben schon seit mehr als sieben Jahren hier. Mittlerweile sprechen wir besser Deutsch als unsere Muttersprache. Außerdem sind wir sehr gute Schüler. Ist das nicht genau das, was alle von Ausländern verlangen?«
Ich schaute erwartungsvoll in die Gesichter der beiden, aber sie verzogen keine Miene. Als wäre meine Frage an den kahlen Wänden zerschmettert. Ich hatte zu reden begonnen, weil ich das Gefühl hatte, Madar würde gleich die Kontrolle verlieren. Jetzt stand ich selbst kurz davor. Ich konnte die Stille nicht mehr aushalten und sie machte mich wütend. Diese beiden Menschen hatten sich hinter ihrem Tisch verschanzt. Nur Anweisungen und Formulare überwanden diese hölzerne Mauer. Unsere Argumente, unsere Bitten, unsere Sorgen prallten an ihr ab.
Vor Anspannung ballte ich die Faust. »Hier haben wir unsere einzigen Freunde! Hören sie das? Schon einmal haben wir alle Menschen, die wir kannten und liebten, verloren. Sollen wir …«
»Wir sind dafür nicht zuständig«, unterbrach mich die dürre Frau mit unveränderter Stimme. »Unsere Aufgabe ist es, aufenthaltsbeendende Maßnahmen zu ergreifen. Sie müssen dieses Land verlassen, und wenn Sie nicht freiwillig ausreisen, zwingen wir Sie dazu.«
Madars Hand, die ich immer noch hielt, begann zu zittern.
»Wir werden Ihnen jeden Grund nehmen, hierbleiben zu wollen. Das bedeutet, dass wir Ihr monatliches Geld auf das Minimum kürzen. Außerdem befristen wir Ihre Duldung auf eine Woche. Sie müssen alle sieben Tage hier vorsprechen und eine Verlängerung beantragen.« Sie machte eine Pause und fixierte unsere Mutter mit den Augen: »Und mit sofortiger Wirkung entziehen wir Ihnen die Erlaubnis, Ihre Ausbildung fortzusetzen.«
Alle Farbe wich aus Madars Gesicht. »Nein! Nein! Das geht nicht! Nein!«, schrie Madar mit bebender Stimme. Sie hatte die Arme geöffnet und ihre Handflächen zeigten nach oben. »Nein! Bitte! Nein!« Ich umarmte sie, versuchte sie mit Worten zu beruhigen, aber es brachte nichts. Die Ausbildung war ihr letzter Halt, das würde sie nicht verkraften.
Madar ballte ihre Finger zu Fäusten und schlug immer wieder auf den Tisch, dann auf ihre eigene Brust und wieder auf den Tisch. Sie schrie. Sie weinte. Meine Brüder riefen mit tränenerstickten Stimmen: »Madar! Madar!« Aber sie reagierte nicht, sie hörte uns nicht einmal. Das Hämmern gegen das Holz, die verzweifelten Rufe, die angsterfüllten Blicke – es war, als wäre ich wieder im Albtraum von heute Morgen.
Ich wünschte mir, dass die zwei Beamten aufstanden, uns packten und brutal zum Schweigen brachten. Dann hätte ich endlich meiner Wut, meiner Verzweiflung freien Lauf lassen können. Ich hätte so lange auf die beiden eingeschlagen, bis ich erschöpft zusammengesackt wäre. Aber sie saßen nur reglos da. Sie sahen unser Leid, hörten uns wimmern, aber ihre Augen waren leer. Ich konnte nicht anders, als zu glauben, dass sie genauso leblos waren wie die Plastikpflanze hinter ihnen.
Madar rutschte vom Stuhl herunter, sank auf den Boden und schaukelte auf Knien vor und zurück. Tränen rannen ihr über das Gesicht und ihre Stimme brach. Sie gab nur noch krächzende Laute von sich. Ich dachte an das Gefühl von heute Morgen: Nein, unsere Mutter war kein Übermensch. Sie war verzweifelt und müde. Ein Mensch, dessen Hoffnung Stück für Stück zerstoßen worden war. Ich hatte sie noch nie so erlebt. Sogar in meinem Albtraum hatte sie mit einem Ziel vor Augen gekämpft. Doch jetzt war kaum noch etwas von ihr da. Es war, als würde sich Madar langsam auflösen.
MILAD Wir brachten unsere Mutter nach Hause. Ihre Augen waren geschlossen und ihr Körper hing schlaff vornübergebeugt. Wenn wir sie ansprachen, reagierte sie nicht. Masoud und Mojtaba halfen ihr beim Gehen und sie ließ sich leiten. Es war ein Anblick, den ich kaum ertrug.
Als wir zu Hause ankamen, schleppte sie sich stumm in ihr Zimmer. Auf keinen Fall wollte ich sie in ihrer Verzweiflung allein lassen, aber ich wusste nicht, ob ich Worte finden
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