Unfassbar für uns alle
eingeleitet worden. Es geht allein in diesen Fällen um einen Schaden in Höhe von 8,8 Milliarden Mark. Beim Vertrauensbevollmächtigten der Treuhand sind bis jetzt 6000 Eingaben eingegangen, das heißt, Beschwerden von Bürgern über die sogenannten ‹roten Socken›, die immer noch oder schon wieder das Sagen hätten.»
Ich mußte unwillkürlich an diesen Wolfram Schwermer und seine Havelland-Investment denken, den Streit zwischen der Gemeinde Friedrichsheide und ihm um das Woerzke-Erbe. Meine Tagträume wurden nun andere... Nicht mehr der Spontanfick mit der Journalistin hielt mich gefangen, sondern das, was Fontane in mir angerichtet hatte. Mich hatten sie ja auch deswegen in die Psychiatrie gesteckt, weil ich, um von meinen Alkoholproblemen loszukommen, zu einer dieser Reinkarnationstherapien gegangen war – mit dem Ergebnis, daß ich mich ernsthaft als Joachim Ernst v. Mannhardt gefühlt hatte, als Kammerherrr Friedrichs des Großen. Das flackerte nun wieder auf, und ich kam als Werner v. Woerzke nach Oranienburg zurück, legitimer Sohn des 1946 im Speziallager Nr. 7 ermordeten Waldemar v. Woerzke. Ich entschied mich gegen Schwermer und für den Zinna-Plan, aber nur, wenn man den gleich mit zum Teufel jagte und mich zum Friedrichsheider Bürgermeister machte.
Als mich meine kopfeigene Zeitmaschine wieder in die Realität zurückgebracht hatte, war der BKA-Mann schon beim zweiten Punkt seiner Ausführungen.
«...treibt also die Leiche des Alexander Konstantinowitsch Kamkin in Potsdam auf dem Jungfernsee, gleich am Schloß Cecilienhof. Mit fünf Messerstichen in der Brust. Ein Mord der sogenannten ‹ Ikonenmafia›, wie wir glauben. Kamkin schmuggelte Heiligenbilder in den Westen und ist dabei wahrscheinlich der Balalaika-Bande) in die Quere gekommen...»
Bei so viel Lyrik mußte ich an die Ansichtskarte denken, die wir bei der Tschupsch in der Wohnung gefunden hatten. Sie steckte noch immer bei mir in der Jackentasche. Ich fragte Koppatz leise, ob er einen El Lissitzky kennen würde.
«Berühmter sowjetischer Maler, Graphiker und Architekt...»
Ich zog die Postkarte heraus. «Können Sie das hier bitte mal übersetzen...?»
Koppatz hatte keine Mühe mit der kyrillischen Schrift. «Liebe Luise...» flüsterte er. «... mir ist hier in Moskau alles geglückt. Bin bald in Berlin. Dein Ludger»
Klar, was ich da dachte, als ich das hörte: Der Ikonenhandel... Ihr Bruder ist in Rußland, um Ikonen zu beschaffen ... Die Tatsache, die wir uns nicht erklären konnten, daß sie erschossen worden war... Eine feindliche Russen-Gang also...
Ich nahm die Karte wieder an mich und erklärte Koppatz kurz die Zusammenhänge.
«Pssst!» machte es von allen Seiten.
«Auch bei Ihnen hier in Brandenburg gewinnt ja die Organisierte Kriminalität weiter an Boden...» Der BKA-Mann las den Einheimischen nun fünf Minuten lang das vor, was sie ihm vorher zugefaxt hatten. «Die Sonderkommissionen ‹Taiga›, ‹Turbo› und ‹Club› sind inzwischen mit dreißig ‹Ermittlungskomplexen) befaßt, in denen eine Vielzahl von Straftaten mafiaartiger Gruppen zusammengefaßt sind. Bei den Delikten handelt es sich um das Verschieben von Kraftfahrzeugen (SoKo ‹Turbo›), um Mädchenhandel (SoKo ‹Club›) sowie um Erpressung, Raub und Gewalttaten, wobei sich die SoKo ‹Taiga› auf die Auswertung von Straftaten spezialisiert hat, die von russischen und anderen osteuropäischen Banden begangen worden sind. Sorgen bereitet Ihrem LKA hier in Brandenburg vor allem das Beziehungsgeflecht, das die mafiaähnlichen Banden inzwischen aufgebaut haben, unter Einbeziehung einheimischer Krimineller...»
... wie zum Beispiel Ludger und Luise Tschupsch – Fragezeichen.
Ich mußte wieder einmal dringend zur Toilette, wagte aber nicht, den Referenten zu stören. Peinlich auch, wenn sich die Blicke aller auf mich richteten, dieses üble Geflüster, daß sich da mal wieder einer wichtig tun wolle. Also verkniff ich mir alles. Der BKA-Mann kam ja auch langsam zum Schluß.
«... drittens nun gehen unsere Erkenntnisse dahin, daß die westlichen Drogenkartelle zunehmend versuchen, von der Treuhand marode Betriebe aus der Erbmasse der DDR für vergleichsweise wenig Geld zu kaufen und sie zur Geldwäsche zu nutzen. Das Muster ist dabei immer dasselbe: Für, sagen wir, 10 Millionen Narco-Dollar kauft man über deutsche Strohmänner eine Firma und verspricht deren Sanierung. Die scheitert dann aber nach einiger Zeit, trotz aller Bemühungen, die
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