Unfassbar für uns alle
Würden. Dann verschwindet er irgendwo im Anhaltinischen. Die Gruft in Chorin hat niemand geöffnet. So weiß bis heute keiner, ob es nun der echte oder der falsche Waldemar gewesen ist...»
Für mich stand das überhaupt nicht in Frage, ich war mir hundertprozentig sicher, daß mein Waldemar wirklich ein falscher Waldemar war, daß Wolfram Schweriner, die Havelland-Invest und ihre mafiosen Hintermänner einen Doppelgänger aus dem Hut gezaubert hatten, um in Friedrichsheide ihre Millionengewinne zu machen. Und damit er nicht entlarvt wurde, hatten sie vorher noch Luise Tschupsch erschießen lassen.
Quod erat demonstrandum.
19. Szene
Schloßhotel Friedrichsheide
Mein falscher Waldemar ließ auf sich warten. Ich schleuderte durch die Halle des Schloßhotels und sah mir die aufgehängten Ölgemälde an. Alles märkische Motive. Darunter immer Schildchen mit Erklärungen und Versen. Sehr hübsch das alles.
«Großbeeren, Bülow-Pyramide» mit den Worten des Generals von Bülow: «Unsere Gebeine sollen diesseits Berlin bleichen, nicht jenseits». Also vor den Toren Berlins, um Napoleon an der Eroberung der Hauptstadt zu hindern. Mir fielen die Gebeine ein, die nun doch jenseits Berlins gelegen hatten – in Zinnas Garten. Da war auch noch nachzuhaken.
«Lindow, Klosterruine» mit einem wunderbar elegischen Gedicht: «Und Gräberreihen auf und ab; / Des Sommerabends süße Ruh / Umschwebt die halbzerfallnen Grüfte.»
«Theodor Fontane, Portrait» mit einigen Zeilen seines Gedichtes «Meine Gräber»: «Auf den Gräbern Blumen und Aschenkrüge, / Vorüber in Ferne rasseln die Züge, / Still bleibt das Grab und der Schläfer drin — / Der Wind, der Wind geht drüber hin.»
Nun ja... Fast fünfzig Jahre war der Wind über die Gräber bei Schmachtenhagen hingegangen, über die Massengräber des Speziallagers Nr. 7, aber der Schläfer drin, der war nicht still geblieben, der war wiederauferstanden von den Toten und zurückgekommen aus Bethlehem, Pennsylvania. Standardwendung meines Vaters: «Det kannste doch eenem erzählen, der sich die Hose mit der Kneifzange anzieht.» War nur die Frage, wie es Schwermer & Co. geschafft hatten, einen Mann zu finden, der so ohne weiteres bereit und fähig war, die Rollen des falschen Waldemar zu spielen. Aber die Netze der Mafia-Clans waren weitgespannt und in ihren Reihen gab es bestimmt auch Leute, die etwas von deutscher Geschichte verstanden und für ihren Hauptdarsteller das rechte Drehbuch schreiben konnten. «Der Friedrichsheide-Coup» mit William Black als Waldemar v. Woerzke. Im Verleih der Havelland-Investment GmbH. Regie: Wolfram Schwermer. Was der askanischen Mafia vor 600 Jahren geglückt war, das war der sizilianischen oder tschetschenischen von heute schon lange möglich. Papiere ließen sich ohne großen Aufwand und Menschen für alle Zwecke kaufen. Schermers Protagonist konnte x Namen haben, sicher, bei mir lief er aber seit der Meldung im Oranienburger Generalanzeiger einzig und allein unter dem Namen William Black.
Für mich war das alles von einer 2x2=4-Logik: Schwermer, ein zweifellos hochbegabter Mensch, hatte die Fäden fast genial gesponnen, war in die USA gereist und hatte einen geeigneten und willigen Mann für die Waldemar-Rolle gesucht und gefunden, dann aber bei seinen Recherchen in Oranienburg bemerkt, daß es da noch einen Risikofaktor gab, der unbedingt ausgeschaltet werden mußte: Luise Tschupsch. Beide, der echte Waldemar und sie, hatten sich damals sehr nahe gestanden, und Luise hätte den falschen Waldemar im Nu entlarvt. Darum also der Einsatz eines Profikillers und der Kopfschuß an der Eisenbahnbrücke über dem Oder-Havel-Kanal. Wobei sie insofern leichtes Spiel hatten, als Luise Tschupsch wegen ihrer Anti-Bordell-Aktion sowieso auf der Abschußliste einiger Dutzend Männer stand.
Das nun galt es zu beweisen.
Woerzke – oder wie auch immer er hieß – ließ weiter auf sich warten. Ich bat die Rezeption, noch einmal bei ihm im Zimmer anzurufen, dann ließ ich mich wieder in einen der viel zu tiefen und zu weichen Sessel fallen, um meinen Eibl-Eibesfeldt zu Ende zu lesen. Seite 185 ff.: DIE EIPO. Neusteinzeitliche Pflanzer in den Bergen Irian Jayas...
In dieser Sekunde hielt der Fahrstuhl dicht vor meinen Augen, und Waldemar v. Woerzke alias William Black erschien. An seiner Seite eine Frau, die eine verdammte Ähnlichkeit mit Peggy Bundy hatte – «Married... with children» bzw. ‹Eine schrecklich nette Familie›. Love and marriage.
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