Unfassbar für uns alle
Fabricio Longare also einem Clan, einer Mafia-Familie an? Derselben wie Wolfram Schwermer und seine Hintermänner? Und hatte Fabricio Longare Luise Tschupsch sozusagen prophylaktisch getötet? Das war hier die Frage.
Ich sah mir die Ölgemälde an, die die Italiener ringsum aufgehängt hatten. Sizilien offenbar. Dachte ich ganz automatisch. Bis ich auf einer an die Wand gemalten Landkarte entdeckte, daß das Capo Secco auf Vulcano lag, einer der Liparischen Inseln. Corleone auf Sizilien wäre mir lieber gewesen, siehe Don Corleone im «Paten».
Da ich die eitle journalistische Onanie, die sich Spiegel nannte, schon lange nicht mehr mochte, kaufte ich mir ab und an ein Focus- Heft und las es beim Essen. Warum eigentlich? Die interessierten sich in keinster Weise für mich, warum sollte ich das umgekehrt machen? 99,99 Prozent der Informationen, die sie mir verkauften, waren für mein tägliches Handeln absolut bedeutungslos und machten mich nur reif für die Psychiatrie. Wie dieser Bericht (Focus 2/ 1994, S. 148):
Mord ist ihr Geschäft
Aus purer Geldgier verrichten die Scharfschützen in Sarajevo ihr blutiges Geschäft. Serbische Gefangene bestätigen: Der Generalstab der serbischen Einheiten vergibt Mordaufträge nach festen Tarifen: für Kinder und Rentner 400 Mark, für Frauen 600, für Schwangere 700 und für Männer 800 Mark. Das höchste Kopfgeld (1000 Mark) ist auf UN-Soldaten, ausländische Journalisten und Mitarbeiter humanitärer Organisationen ausgesetzt.
Darüber ein Bild, das einen Soldaten in gefleckter Kampfuniform auf einem Dachboden zeigte. Das Gewehr im Anschlag, zielte er aus einer Schießscharte auf gegenüberliegende Häuser respektive eine Straße. Ein ausgebauter Autositz sorgte für eine angenehme Wartezeit.
«Hat’s Ihnen geschmeckt?» fragte der Ober.
«Ja, danke, sehr gut.»
«Möchten Sie etwas trinken von Haus?»
«Einen Sambuca bitte...»
Sanft und scharf zugleich. Die züngelnde Flamme und dieser wunderbare Geruch. Ich dachte an Heike. Und daran, daß in dieser Sekunde der Soldat auf dem Focus -Foto gerade wieder abdrückte.
«Zahlen, bitte.»
Bevor ich das erledigt hatte, wollte ich den Dialog mit Fabricio Longare nicht beginnen. Um gar keine Mißverständnisse aufkommen zu lassen.
Ich ging zum Zweiertisch, an dem er saß und arbeitete. «Pardon, Signore, die Kripo Oranienburg...» Ich hielt ihm meine Marke hin.
Longare musterte sie mit demselben stoischen Nichtinteresse, das ansonsten seine Gäste an den Tag legten, wenn der x-te dunkelhäutige Rosenverkäufer ihren Tisch belagerte.
«... wir suchen Sic dringend als Zeugen.»
Longare schmunzelte. «Mein Deutsch ist nicht so gut, aber... zum Zeugen...? Soll die deutsche Polizei mit Mafia-Blut aufgefrischt werden...?»
Der Mann hatte Witz. Ich erklärte ihm die ganze Sache. Wie Luise Tschupsch unter der Eisenbahnbrücke über den Oder-Havel-Kanal bei Lehnitz erschossen worden war und daß ihn jemand mit BMW und Schirm von der S-Bahn aus beobachtet hatte. Am Tattag gegen 20 Uhr 40. Unseren Ermittlungen zufolge mußte der tödliche Schuß in den Mund zwischen 20 Uhr 30 und, wenn Luise Tschupsch sich arg verlaufen haben sollte, 20 Uhr 50 gefallen sein, eher aber etwas früher. Der Zug mit Sybille Schierholz hatte die Brücke genau um 20 Uhr 42 passiert. «Haben Sie das über den Mord nicht in der Zeitung gelesen?»
«Tut mir leid, im II Giorno stand das nicht... »
«Aber Sie bestreiten nicht, zu dieser Zeit in Lehnitz an der Brücke gewesen zu sein?»
Longare war sehr verwundert darüber, daß ich ihm das automatisch unterstellte. «Nein, warum sollte ich...? Hier...» Er zog aus dem Berg seiner Unterlagen mehrere Skizzen, Blaupausen und Kostenvoranschläge hervor. «Wir wollen dort ein Ristorante eröffnen, ‹Vulcano›. Das ist alles. Ich war da, um noch einmal zu gucken. Kann sein, zu Ihrer Zeit.»
«Und da ist ihnen nichts aufgefallen, da haben Sie keinen Schuß gehört?»
«Nein...»
«Komisch...»
Longare kniff die Augen zusammen. «Doch... Warten Sie... Da ist ein Mann unter der Brücke hervorgekommen...»
Der Täter oder der große Unbekannte? Ich hoffte, die Beschreibung von Hermann Hackenow würde jetzt kommen: gelbe Jacke, Landstreicher, sah aus wie Herbert Wehner...
Aber nein.
«Es war ein jüngerer Mann. Bleich. Dick angezogen. So ’n feiner Mantel aber. Wie einer, der zu einer Feier geht. Mit einem Blumenstrauß in der Hand.»
27. Szene
FHVR Berlin
Am liebsten hätte ich mich zu Hause
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