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Unfassbar für uns alle

Unfassbar für uns alle

Titel: Unfassbar für uns alle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Horst (-ky) Bosetzky
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Seite heraus. Nein, nur Tomatensaft.
    «Suchen Sie da was Bestimmtes?»
    Ich wußte, wenn ich den Kopf nach oben nahm, dann fiel der Schuß. Aufgesetzter Schalldämpfer. Absolute Leere bei mir. Keine süßen Bilder, keine Erinnerung an das abgelaufene Leben.
    «Nein. Ich hab den Mülleimer nur aus Versehen umgestoßen und wollte...»
    «Nicht doch, das macht das Mädchen nachher selber.»
    Der Zimmerkellner ging in die eine Richtung ab, ich in die andere. Einem Herzanfall so nahe, daß ich eine Demetrin hinunterschlucken mußte. Ich kauerte in der Ecke am Fahrstuhl und wartete, bis es mir ein wenig besser ging. Der kleine Mülleimer stand immer noch da, der herausgewühlte Abfall lag daneben. Jetzt erst merkte ich, daß ich die Short stories in meiner Panik mitgenommen hatte.
    Ich warf das Buch auf den Teppich und suchte weiter. Volle Tempotaschentücher, eine leere Whiskyflasche, Erdnußschachteln und weiterer Mist. Leider kein Kaugummi. Das wäre sicherlich Speichel genug gewesen. Ganz unten eine klebrige lachsfarbene Masse... Mehr als eklig. Hatten die Schweine sich das Menü ins Zimmer bringen lassen und die Reste dann in den Mülleimer geschüttet.
    Erst als ich genauer hinsah, merkte ich, welchen Schatz ich da gehoben hatte: einen vollen Präser.

40.Szene
Am Trödelgraben
    Ein richtiger Berliner fühlte sich nur dann froh und glücklich, wenn es sonntags rausging ins Grüne. Nun war es zwar in diesem Januar alles andere als grün, und Heike hatte das trübe Licht der Welt oben bei Bremen erblickt, aber dennoch spazierten wir mit Kind und Kinderwagen nördlich von Friedrichsheide durchs märkische Land. Das Auto hatten wir nach einem üppigen Mahl auf dem Parkplatz des Schloßhotels stehenlassen.
    Heike staunte über die gepflegten Wege, die die sintflutartigen Regenfälle der letzten Tage mühelos geschluckt hatten. «Ist das der ehemalige Schloßpark hier?»
    «Scheint so, ja...» Wir überquerten ein Rinnsal, das gerade breit genug war, einen Torfkahn beziehungsweise ein Faltboot aufzunehmen. «Und das ist der Trödelgraben, der ein paar Kilometer weiter in die Havel mündet.»
    «Und alles Woerzke-Land?»
    «Ja... und nein. Denn Woerzke ist nicht Woerzke, und alles wird der Gemeinde Friedrichsheide zugesprochen werden.» Ich blieb mit Sylvesters Kinderwagen an einer Wurzel hängen. «Scheiße!»
    Heike schrie auf und tat so, als sei das arme Kind aus dem Wagen gestürzt und ins Wasser gefallen.
    «Um ein Haar wärst du umgekippt und das Kind hätte sich...»
    Sie riß mir den Griff des Kinderwagens aus der Hand. Erst jetzt begann Sylvester zu krakeelen. Natürlich war es wieder meine Schuld.
    Wir gingen schweigend am Trödelgraben entlang.
    Der Sohn schrie derart penetrant, daß sich die Saatkrähen ringsum laut fluchend erhoben.
    Ich zitierte Fontane. «‹ Am Waldessaume träumt die Föhre, / Am Himmel weiße Wolken nur; / Es ist so still, daß ich sie höre, / Die tiefe Stille der Natur.›»
    Da küßten wir uns, und prompt gab auch Sylvester wieder Ruhe.
    «Dies solltest du zu Papier bringen», riet ich ihr. «Für einen Aufsatz in ‹Psychologie Heute› reicht es allemal, wenn nicht sogar für ’ne Doktorarbeit.»
    «Und du nimmst diese Doktorarbeit, erschlägst damit eine Fliege, einen grün schimmernden Lokusbrummer, läßt dessen Blut untersuchen und stellst fest, daß es dasselbe genetische Muster ist wie bei Sven Viebak. Ergo ist er der Mörder von Luise Tschupsch, weil er — siehe Seelenwanderung – durch diese Stufe hindurch muß, um geläutert zu werden.»
    Wir wußten, warum wir uns liebten.
    Vor einem Kiefernwäldchen tauchte endlich das Blockhaus auf, dessentwillen wir nach Friedrichsheide rausgefahren waren. Es war Heikes großer Traum, seit sie es vor ein paar Wochen zum erstenmal gesehen hatte.
    «Hier den Sommer verbringen, die Wochenenden. Von Tegel aus bin ich mit dem Wagen in ’ner knappen Stunde hier, und von Oranienburg brauchst du mit’m Rad zwanzig Minuten.»
    Sie hatte recht, es war schon herrlich hier. Der Trödelgraben mußte an dieser Stelle einen Bogen machen, weil die letzte Eiszeit den Sand zu einem kleinen Hügel angehäuft hatte. Eine richtige Wurte oder Warft, auf der sich trefflich siedeln ließ. So jedenfalls der Ortsprospekt von Friedrichsheide. Zu DDR-Zeiten hatte hier eine Kühlschrankfabrik aus Wolkenstein/Erzgebirge eine kleine Erholungsstätte gehabt, aber die zehn Bungalows waren inzwischen fest in Westberliner Hand. Sie störten zwar einerseits die

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