Ungeduld des Herzens.
schon beruhigt von ihren Kissen zu mir emporlächelnd, ein Kind, ein Kind vor dem Schlafengehen. Alles war gut, die Atmosphäre aufgeklärt wie der Himmel nach einem Gewitter. Völlig unbefangen und beinahe fröhlich trat ich heran. Aber da schrak sie jäh empor.
»Um Himmels willen, was ist denn das? Ihre Uniform ...«
Sie hatte die großen nassen Flecken auf meinem Rock bemerkt; schuldbewußt mußte sie sich erinnert haben, daß nur die in ihrem Sturz mitgerissenen Tassen dies kleine Malheur verursacht haben konnten. Sofort flüchteten ihre Augen unter die Lider, die schon ausgestreckte Hand zog sich verängstigt zurück. Aber gerade daß sie diese läppische Kleinigkeit so ernst nahm, wirkte auf mich ergreifend; um sie zu beruhigen, nahm ich zu einem lockeren Ton Zuflucht.
»Ach nichts«, spaßte ich, »nichts Ernstliches. Ein schlimmes Kind hat mich angeschüttet.«
Noch immer war Verstörung in ihrem Blick. Doch dankbar rettete sie sich hinüber in den spielerischen Ton.
»Und haben Sie das schlimme Kind dafür tüchtig verhauen?«
»Nein«, antwortete ich, schon ganz im Spielton. »Das war nicht mehr nötig. Das Kind ist längst wieder brav.«
»Und Sie sind ihm wirklich nicht mehr böse?«
»Nicht die Spur. Sie hätten hören müssen, wie schön es sein ›bitte um Verzeihung‹ gesagt hat!«
»Sie tragen's ihm also gar nicht mehr nach?«
»Nein, vergeben und vergessen. Nur weiter brav bleiben muß es natürlich und alles tun, was man von ihm verlangt.«
»Und was soll es tun, das Kind?«
»Immer geduldig sein, immer freundlich bleiben, immer heiter. Nicht zu lang in der Sonne sitzen, viel spazierenfahren und alles genau befolgen, was der Arzt ihm befiehlt. Jetzt aber soll das Kind vor allem schlafen und nicht mehr reden und nachdenken. Gute Nacht.«
Ich gab ihr die Hand. Bezaubernd hübsch sah sie aus, wie sie da lag und mich glücklich anlachte mit glitzernden Augensternen. Warm und beschwichtigt legten sich fünf schmale Finger in meine Hand.
Dann ging ich, und das Herz war mir leicht. Schon rührte ich an die Klinke, da perlte von rückwärts noch ein kleines Lachen.
»War das Kind jetzt brav?«
»Tadellos. Es kriegt auch eine große Eins. Aber jetzt schlafen, schlafen, schlafen und an nichts Böses mehr denken!«
Ich hatte die Tür schon halb geöffnet, da flitzte noch einmal dieses Lachen mir nach, kindisch und verschmitzt. Und wieder kam von den Kissen die Stimme:
»Haben Sie vergessen, was ein braves Kind bekommt, vor dem Schlafengehen?«
»Nun?«
»Ein braves Kind bekommt einen Gutenachtkuß.«
Irgendwie wurde mir nicht ganz behaglich. Es flackerte und flirrte ein kitzliger Ton in ihrer Stimme, der mir nicht gefiel; schon früher hatten ihre Augen mir zu fiebrig gefunkelt. Aber ich wollte die Reizbare nicht verstimmen.
»Ach ja, natürlich«, sagte ich scheinbar lässig. »Das hätte ich beinahe vergessen.«
Ich ging die paar Schritte zurück bis zu ihrem Bett und spürte an einer plötzlichen Stille, daß ihr Atem aussetzte. Unablässig blieben ihre mitwandernden Augen auf mich gerichtet, indes der Kopf reglos in den Kissen verharrte. Keine Hand, kein Finger rührte sich, einzig die beobachtenden Augen wanderten mit mir und ließen mich nicht los.
Rasch, rasch, dachte ich mit wachsendem Unbehagen: so beugte ich mich eiligst nieder und streifte leicht und flüchtig mit den Lippen ihre Stirn. Mit Absicht rührte ich kaum an ihre Haut und spürte nur von nahe den verworrenen Duft ihres Haares.
Aber da fuhren ihre beiden Hände, die offenbar wartend auf der Decke gelegen, plötzlich empor. Wie Klammern umpreßten sie von beiden Seiten, ehe ich den Kopf wegwenden konnte, meine Schläfen und rissen mir den Mund von der Stirne nieder an ihre Lippen. So heiß, so saugend und gierig preßten sie sich an, daß die Zähne die Zähne berührten, und gleichzeitig wölbte und spannte sich drängend ihre Brust empor, um meinen herabgebeugten Körper zu berühren, zu spüren. Nie in meinem Leben hab ich mehr einen derart wilden, einen so verzweifelten, einen so durstigen Kuß empfangen wie von diesem verkrüppelten Kind.
Und nicht genug, nicht genug! Mit einer trunkenen Kraft hielt sie mich an sich gepreßt, bis ihr der Atem versagte. Dann lockerte sich der Griff, erregt begannen ihre Hände wegzuwandern von den Schläfen und in meinem Haar zu wühlen. Aber sie gab mich nicht frei. Einen Augenblick nur ließ sie mich los, um zurückgelehnt, wie verzaubert, meine Augen anzustarren, dann
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