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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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keinem von allen, die mich narrenhaft weiterrennen ließen in diese Verstrickung! Fort, nur rasch fort!
    Aber zu spät! Im Salon wartete – offenbar hatte sie meinen Schritt schon gehört – Ilona. Kaum daß sie mich erblickte, veränderte sich ihr Gesicht.
    »Jesus Maria, was ist denn? Sie sind ja ganz blaß ... Ist ... ist mit Edith wieder etwas passiert.«
    »Nichts, nichts«, fand ich gerade noch Kraft zu stammeln und wollte weiter. »Ich glaube, sie schläft jetzt. Verzeihung, ich muß nach Hause.«
    Jedoch etwas Erschreckendes muß in meinem brüsken Gehaben gewesen sein, denn Ilona faßte mich resolut am Arm und drückte, ja stieß mich in einen Fauteuil.
    »Da, setzen Sie sich zunächst einmal nieder. Sie müssen erst zu sich kommen ... Und Ihr Haar ... wie sieht denn Ihr Haar aus? Sie sind ja ganz zerzaust ... Nein, bleiben Sie« – ich wollte aufspringen – »ich hol einen Kognak.«
    Sie lief zum Schrank, füllte ein Glas, und ich kippte es rasch hinab. Beunruhigt blickte Ilona mir zu, wie ich mit zitternder Hand das Glas abstellte (nie in meinem Leben hatte ich mich so schwach, so ausgeschöpft gefühlt). Dann setzte sie sich still zu mir und wartete, ohne zu sprechen, manchmal nur von der Seite vorsichtig den beunruhigten Blick zu mir aufhebend, wie man einen Kranken beobachtet. Endlich fragte sie:
    »Hat Edith Ihnen ... etwas gesagt ... ich meine, etwas, das ... das Sie selber betrifft?«
    An ihrer teilnehmenden Art spürte ich, daß sie alles ahnte. Und ich war zu schwach, um mich zu wehren. Leise nur murmelte ich: »Ja.«
    Sie rührte sich nicht. Sie antwortete nicht. Ich merkte bloß, daß ihr Atem mit einmal heftiger ging. Vorsichtig beugte sie sich heran.
    »Und das ... das haben Sie wirklich erst jetzt bemerkt?«
    »Wie konnte ich denn so etwas ahnen ... einen solchen Unsinn! Einen solchen Irrsinn! ... Wie kommt sie denn darauf ... wie denn auf mich ... warum gerade auf mich? ...«
    Ilona seufzte. »O Gott – und sie meinte immer, Sie kämen nur ihretwegen ... Sie kämen deshalb zu uns. Ich ... ich habe es ja nie geglaubt, weil Sie so ... so unbefangen waren und so ... so herzlich auf eine andere Art. Ich habe vom ersten Moment an gefürchtet, daß es bei Ihnen nur Mitleid ist. Aber wie konnte ich das arme Kind warnen, wie so grausam sein, ihr einen Wahn auszureden, der sie glücklich machte ... Seit Wochen lebt sie einzig in dem Gedanken, daß Sie ... Und wenn sie mich dann immer fragte und fragte, ob ich glaubte, daßSie sie wirklich gerne hätten, da konnte ich doch nicht roh sein ... Ich mußte sie doch beruhigen und bestärken.«
    Ich vermochte nicht länger, an mich zu halten. »Nein, im Gegenteil, Sie müssen es ihr ausreden, unbedingt ausreden. Es ist doch ein Wahnsinn von ihr, ein Fieber, eine kindische Marotte ... nichts als die übliche Backfischschwärmerei für die Uniform, und wenn morgen ein anderer kommt, so wird's eben der andere sein. Sie müssen ihr das erklären ... Sie müssen ihr das rechtzeitig ausreden. Es ist doch nur ein Zufall, daß ich es bin, daß ich es war, der da kam, und nicht ein anderer, ein besserer von meinen Kameraden. So etwas vergeht ganz rasch wieder in ihrem Alter ...«
    Aber Ilona schüttelte traurig den Kopf. »Nein, lieber Freund, täuschen Sie sich nichts vor. Bei Edith ist das ernst, fürchterlich ernst und wird sogar von Tag zu Tag gefährlicher ... Nein, lieber Freund, ich kann etwas derart Schweres nicht plötzlich für Sie leicht machen. Ach, wenn Sie ahnten, was hier im Haus vorgeht ... Dreimal, viermal schrillt mitten in der Nacht die Glocke, rücksichtslos weckt sie uns alle auf, und wenn wir an ihr Bett laufen voll Angst, es sei etwas passiert, sitzt sie da, aufrecht, verstört, starrt vor sich hin und fragt uns immer dasselbe, dasselbe: ›Glaubst du nicht, daß er mich wenigstens ein bißchen, nur ganz, ganz wenig gernhaben kann? Ich bin doch nicht so häßlich.‹ Und dann verlangt sie einen Spiegel, doch sofort wirft sie ihn wieder weg, und im nächsten Augenblick erkennt sie selbst schon, daß es Wahnsinn ist, was sie tut, und zwei Stunden später beginnt es wieder von neuem. Den Vater fragt sie in ihrer Verzweiflung und Josef und die Dienstmädchen; sogar jene Zigeunerin von vorgestern – Sie erinnern sich – hat sie gestern noch einmal heimlich kommen und sich dasselbe von ihr wahrsagen lassen, noch einmal ... Fünfmal hat sie Ihnen schon Briefe geschrieben, lange Briefe, und dann wiederzerrissen. Von morgens bis abends, von

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