Ungeduld des Herzens.
riß sie mich neuerdings an sich, küßte ziellos und heiß meine Wangen, meine Stirn, meine Augen, meine Lippen miteiner wilden und zugleich ohnmächtigen Gier. Bei jedem dieser Anrisse stammelte, stöhnte sie: »Dummkopf ... Dummkopf ... du Dummkopf ...« und immer heißer »du, du, du«. Immer gieriger, immer leidenschaftlicher wurde dieser Überfall, immer heftiger, immer spasmischer faßte und küßte sie mich. Und plötzlich, wie ein Tuch reißt, ging ein Ruck durch sie hin ... Sie ließ mich los, der Kopf fiel zurück in die Kissen, und nur ihre Augen funkelten mich noch triumphierend an.
Und dann flüsterte sie, hastig sich wegwendend von mir, gleichzeitig erschöpft und schon beschämt: »Geh jetzt, geh, du Dummkopf ... geh!«
Ich ging, nein, ich taumelte hinaus. Schon in dem dunklen Gang verließ mich die letzte Kraft. Ich mußte mich festhalten an der Wand, so schwindlig kreiselten mir die Sinne. Das also war es, das! Das jenes Geheimnis, das zu spät enthüllte, ihrer Unruhe, ihrer mir bisher unerklärlichen Aggressivität. Mein Schrecken war namenlos. Mir war wie einem, der sich arglos über eine Blume beugt, und eine Natter fährt ihm entgegen. Wenn die Empfindliche mich geschlagen, mich beschimpft, mich bespien hätte – all das würde mich weniger entgeistert haben, denn auf Unberechenbares war ich jederzeit bei ihren flackernden Nerven gefaßt – nur auf dies eine nicht, dies eine, daß sie, die Kranke, die Zerstörte, lieben könnte und geliebt sein wollte. Daß dieses Kind, dieses Halbwesen, dieses unfertige und ohnmächtige Geschöpf sich (ich kann es nicht anders sagen) unterfing , zu lieben, zu begehren, mit der wissenden und sinnlichen Liebe einer wirklichen Frau. An alles hatte ich gedacht, nur an dies eine nicht, daß eine vom Schicksal Verstümmelte, die nicht Kraft genug hatte, den eigenen Körper zu schleppen, jemand andern als Liebenden, als Geliebten erträumen konnte, daß siemich, der ich doch einzig aus Mitleid kam und immer wiederkam, so fürchterlich mißverstand. Aber in der nächsten Sekunde begriff ich bereits mit erneutem Entsetzen, daß nichts so sehr als gerade mein eigenes leidenschaftliches Mitleid die Hauptschuld trug, wenn dies von der Welt abgesperrte und verlassene Mädchen von mir, dem einzigen Manne, der es Tag um Tag in ihrem Kerker anteilnehmend besuchte, wenn es von diesem Narren seines Mitleids ein anderes, ein zärtliches Gefühl erwartete. Ich aber, ich Tölpel, unheilbar einfältig in meiner Ahnungslosigkeit, hatte nur die Leidende in ihr gesehen, die Gelähmte, das Kind und nicht die Frau. Nicht einen Augenblick, und auch nur im flüchtigsten, war es mir in den Sinn gekommen, mir innerlich vorzustellen, daß unter dieser hüllenden Decke ein nackter Körper atmete, fühlte, wartete, der Körper eines Weibes, der wie alle andern begehrte und begehrt sein wollte – nie hatte ich Fünfundzwanzigjähriger auch nur die Möglichkeit zu träumen gewagt, daß auch die Kranken, die Krüppel, die Unreifen, die Überalterten, die Ausgestoßenen, die Gezeichneten unter den Frauen es wagten , zu lieben. Denn vor dem wirklichen Leben und Erleben imaginiert und formt sich ein junger unerfahrener Mensch die Welt fast immer nur nach dem Abglanz des Erzählten, des Angelesenen, er träumt vor der eigenen Erfahrung unweigerlich fremde Bilder und Vorbilder nach. In jenen Büchern aber, jenen Theaterstücken, oder in den Kinos (diesen Verflachungen und Versimplungen der Wirklichkeit) waren es immer ausschließlich die jungen, die schönen, die auserlesenen Menschen, die einander begehrten; so hatte ich gemeint – darum auch meine Scheu vor manchen Abenteuern – man müsse besonders anziehend, besonders begnadet, besonders vom Schicksal bevorzugt sein, um die Neigung einer Frau auf sich zu ziehen. Nur darum war ich ja im Umgang mit diesen beiden Mädchen so arglos,so unbefangen geblieben, weil doch alles Erotische mir in unserer Beziehung von vorneweg ausgeschaltet schien und ich nie auf den Verdacht kam, sie könnten mehr in mir sehen als einen netten Jungen, einen guten Freund. Selbst wenn ich bei Ilona manchmal die sinnliche Hübschheit spürte – an Edith hatte ich nie als ein Wesen anderen Geschlechts gedacht; bestimmt hatte nie der Gedanke auch nur schattenhaft mir durch den Sinn gestreift, daß in ihrem verkümmerten Körper die gleichen Organe sich spannten und in ihrer Seele das gleiche Begehren drängte wie bei anderen Frauen. Erst von diesem Augenblick an
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