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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Nerven geheimnisvoll Hand in Hand, und auch als wir in den großen Saal des »Roten Löwen« kamen, tat ich dank der Hypnose der Disziplin meine zugewiesene Arbeit halbwegs anständig. Und es gab reichlich zu tun. Der ganze Vorrat an Transparenten, Fahnen und Emblemen, der sonst nur beim Regimentsball brillierte, wurde herangeholt, ein paar Ordonnanzen hämmerten laut und vergnügt an den Wänden, nebenan drillte Steinhübel dem Hornisten ein, wann und wie er den Tusch zu blasen hätte. Jozsi bekam, weil er die sauberste Schrift hatte, den Auftrag, das Menü zu schreiben, in dem alle Speisen humoristisch anzügliche Namen erhielten, mir pelzten sie die Tischordnung auf. Zwischendurch rückte der Hausknechtbereits Sessel und Tische zurecht, die Kellner brachten klirrende Batterien von Wein und Sekt in Stellung, die Balinkay von Sacher in Wien in seinem Auto herspediert hatte. Sonderbarerweise tat dieser Wirbel mir wohl, denn er überdröhnte mit seinem Lärm das dumpfe Pochen und Fragen zwischen den Schläfen.
    Endlich, um acht Uhr, war alles parat. Jetzt hieß es noch hinüber in die Kaserne, sich rasch herrichten und umkleiden. Mein Bursche war schon verständigt. Waffenrock und Lackstiefel lagen bereit. Rasch den Kopf ins kalte Wasser und einen Blick auf die Uhr: im ganzen noch zehn Minuten; bei unserem Oberst hieß es verflucht pünktlich sein. So ziehe ich mich flink aus, haue die staubigen Schuhe weg, aber gerade, als ich in Unterkleidern vor dem Spiegel stehe, um mir das verraufte Haar zurechtzukämmen, klopft es an der Tür.
    »Für niemanden zu sprechen«, befehle ich dem Burschen. Er springt gehorsam weg, einen Augenblick tuschelt's draußen im Vorzimmer. Dann kommt Kusma wieder zurück, einen Brief in der Hand.
    Ein Brief für mich? In Hemd und Unterhosen, wie ich eben stehe, nehme ich das blaue rechteckige Couvert, dick und schwer, fast ein kleines Paket, und habe sofort Feuer in der Hand. Ich brauche die Schrift gar nicht anzusehen, um zu wissen, wer mir schreibt.
    Später, später – sagt mir ein rascher Instinkt. Nicht lesen, jetzt nicht lesen! Aber schon habe ich wider meinen innersten Willen den Umschlag aufgerissen und lese, lese den Brief, der mir immer heftiger in den Händen knistert.
     
    Es war ein Brief von sechzehn Seiten, mit aufgeregter Hand fliegend hingeschrieben, ein Brief, wie ihn ein Mensch im Leben nur einmal schreibt und nur einmal im Leben empfängt. Gleich Blut aus einer aufgerissenenWunde flossen die Sätze unaufhaltsam dahin, ohne Absätze, ohne Interpunktion, ein Wort überholte, überrannte, überstürzte das andere. Jetzt noch nach Jahren und Jahren sehe ich jede Zeile, jeden Buchstaben vor mir, jetzt noch könnte ich mir diesen Brief von Anfang bis Ende zu jeder Stunde des Tags und der Nacht Seite für Seite auswendig vorsprechen, so oft habe ich ihn gelesen. Noch Monate und Monate nach jenem Tag habe ich dieses gefaltete blaue Bündel Papiers bei mir in der Tasche getragen, immer wieder es hervorholend, zu Hause, in den Baracken und in den Unterständen und an den Lagerfeuern des Kriegs; erst beim Rückzug in Wolhynien, als unsere Division schon an beiden Flanken vom Feinde umfaßt war und mich die Sorge überfiel, dies Geständnis eines ekstatischen Augenblicks könne in fremde Hände geraten, habe ich diesen Brief vernichtet.
    »Sechsmal«, begann er, »hatte ich schon an Dich geschrieben und jedesmal jedes Blatt zerrissen. Denn ich wollte mich nicht verraten, ich wollte nicht. Ich hab mich zurückgehalten, solange noch Widerstand in mir war. Wochen und Wochen habe ich mit mir gerungen, mich vor Dir zu verstellen. Jedesmal, wenn Du zu uns kamst, freundlich und ahnungslos, habe ich meinen Händen befohlen, stillzuhalten, meinen Blicken, gleichgültig zu tun, um Dich nicht zu verstören; oft bin ich sogar mit Absicht hart und höhnisch gegen Dich gewesen, nur um Dich nicht ahnen zu lassen, wie sehr mein Herz nach Dir brannte – alles habe ich versucht, was in der Kraft eines Menschen war und über seine Kraft. Aber heute ist es geschehen und ich schwör Dir, wider meinen Willen ist es über mich gekommen, hinterrücks hat es mich überfallen. Ich verstehe selber nicht mehr, wie mir das geschehen konnte; am liebsten hätte ich mich nachher geschlagen und gezüchtigt, so hündisch schämte ich mich. Denn ich weiß ja, ich weiß, welcher Irrwitz, welcher Wahnsinn daswäre, mich Dir aufzudrängen. Eine lahme Kreatur, ein Krüppel hat kein Recht, zu lieben – wie sollte ich

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