Ungeduld des Herzens.
herüberg'schickt, nachschaun, ob dir was passiert ist, und da stehst und liest süße Brieferln ... Also fix, Tempo, Tempo, sonst kriegen wir beide einen Mordsputzer.«
Es ist Ferencz, der in mein Zimmer hereingestürmt ist. Ich habe ihn gar nicht bemerkt, ehe er mir mit seiner schweren Pratze brüderlich auf die Schulter haut. Im ersten Augenblick verstehe ich nichts. Der Oberst? Herübergeschickt? Balinkay? Ach so, ach so, erinnere ichmich: der Empfangsabend für Balinkay! Hastig greife ich nach Hose und Rock, und mit der in der Kadettenschule eingelernten Geschwindigkeit reiße ich alles mechanisch an mich, ohne recht zu wissen, wie ich's mache. Ferencz schaut mir merkwürdig zu:
»Was ist denn los mit dir? Ganz teppert tust du da herum. Hast am End schlechte Nachrichten von wo?«
Aber eilig wehre ich ab. »Keine Spur. Ich komm schon.« Drei Sprünge und wir sind bei der Treppe. Da reiße ich mich noch einmal herum.
»Fix Laudon noch einmal, was hast denn schon wieder?« brüllt mir der Ferencz zornig nach. Aber ich habe nur rasch den Brief an mich genommen, den ich auf dem Tisch vergessen, und in die Brusttasche geschoben. Wir kommen wirklich im letzten Augenblick in den Saal. Um den langen hufeisenförmigen Tisch gruppiert sich die ganze bunte Runde, aber keiner getraut sich recht, lustig zu sein, ehe die Vorgesetzten Platz genommen haben, Schuljungen ähnlich, wenn die Glocke schon geläutet hat und jeden Augenblick der Lehrer eintreten muß.
Und schon reißen die Ordonnanzen die Tür auf, schon treten sporenklirrend die Stabsoffiziere ein. Wir krachen alle von unseren Sitzen auf und stehen einen Augenblick »Habtacht«. Der Oberst setzt sich zur Rechten, der rangälteste Major zur Linken Balinkays, und sofort wird die Tafel animiert, Teller klirren, Löffel klappern, alles schwätzt und schlürft lebhaft durcheinander. Nur ich sitze in einer Art Abwesenheit inmitten der aufgelockerten Kameraden und taste immer wieder an den Rock über der Stelle, wo etwas hämmert und pocht wie ein zweites Herz. Durch das weiche, nachgiebige Tuch spüre ich jedesmal beim Hingreifen den Brief knistern wie ein angefachtes Feuer; ja, er ist da, er rührt, er regt sich ganz nah an meiner Brust wie etwas Lebendiges, und während die andern gemächlich schwatzen und schmatzen, kannich an nichts als an diesen Brief denken und die verzweifelte Not des Menschen, der ihn geschrieben.
Vergebens serviert mir der Kellner. Ich lasse alles unberührt stehen, mich lähmt dieses Nach-innen-horchen wie eine Art Schlaf mit offenen Augen. Rechts und links höre ich verhangene Worte um mich, ohne sie zu verstehen; es ist, als sprächen alle eine fremde Sprache. Ich sehe vor mir, neben mir Gesichter, Schnurrbärte, Augen, Nasen, Lippen, Uniformen, aber mit jener Stumpfheit, mit der man durch eine Glasscheibe Dinge einer Auslage wahrnimmt. Ich bin da und doch nicht dabei, starr und doch beschäftigt, denn ich murmle noch immer mit lautlosen Lippen die einzelnen Worte des Briefes nach, und manchmal, wenn ich nicht weiter weiß oder mich verwirre, zuckt mir die Hand, um heimlich in die Tasche zu greifen, wie man in der Kadettenschule während der Taktikstunde verbotene Bücher hervorholte.
Da klirrt ein Messer energisch ans Glas; als ob der scharfe Stahl den Lärm zerschnitten hätte, wird es plötzlich still. Der Oberst ist aufgestanden und beginnt eine Rede. Er spricht, mit beiden Händen sich angestrengt an dem Tisch festhaltend und den stämmigen Körper vor- und rückwärts schwingend, als säße er zu Pferd. Den Einsatz bildet mit hartem knarrenden Anruf das Wort »Kameraden«; scharf skandierend und die »R« rollend wie eine Sturmtrommel, formuliert er seinen wohlvorbereiteten Speech. Angestrengt höre ich hin, aber der Kopf will nicht mit. Nur einzelne Worte höre ich schnarren und schmettern. »... Ehre der Arrmee ... österreichischer Rreitergeist ... Treue zum Rrregiment ... alter Kamerad ...« – aber dazwischen wispern geisterhaft andere Worte, leise, flehende, zärtliche wie aus einer anderen Welt. Von innen spricht der Brief mit. »Unendlich Geliebter ... fürchte Dich nicht ... ich kann nicht länger leben, nimmst Du mir das Recht, Dich zu lieben ...« unddazwischen wieder die kraxenden R. »... er hat seine Kameraden in der Ferne nicht vergessen ... nicht das Vaterrland ... nicht sein Österrreich ...« und abermals dazwischen die andere Stimme wie ein Schluchzen, wie ein erstickter Schrei. »Nur erlauben sollst Du mir,
Weitere Kostenlose Bücher