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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Ihnen rasch Kappe und Säbel, Sie verschwinden am einfachsten durch die rückwärtige Tür in den Park. Ich erfind schon eine Ausrede, warum Sie nicht über Abend bleiben konnten.«
    Mit einem Sprung hatte sie meine Sachen geholt. Glücklicherweise war der Diener zum Wagen geeilt; so konnte ich unbemerkt an den Hofgebäuden vorbeikommen, und im Park beschleunigte dann die rasende Angst, ich müßte jemandem Rede stehen, meinen Schritt. Zum zweitenmal flüchtete ich, geduckt und scheu wie ein Dieb, aus dem verhängnisvollen Hause.
    Immer hatte ich junger und wenig erfahrener Mensch bisher Sehnsucht und Not der Liebe für die schlimmste Qual des Herzens gehalten. In dieser Stunde aber begann ich zu ahnen, daß es noch eine andere und vielleicht grimmigere Qual gibt, als sich zu sehnen und zu begehren, nämlich geliebt zu werden wider seinen Willen und dieser andrängenden Leidenschaft sich nicht erwehren zu können. Einen Menschen neben sich an der Glut seines Verlangens verbrennen zu sehen und ohnmächtig dabeizustehen, nicht die Macht, nicht die Fähigkeit, nicht dieKraft in sich zu finden, ihn diesen Flammen zu entreißen. Wer selbst unglücklich liebt, vermag zuweilen seine Leidenschaft zu bezähmen, weil er nicht nur Geschöpf, sondern zugleich selber Schöpfer seiner Not ist; versteht ein Liebender seine Leidenschaft nicht zu meistern, so leidet er zumindest aus eigener Schuld. Rettungslos jedoch bleibt verfallen, wer geliebt wird ohne Gegenliebe, denn nicht mehr in ihm liegt dann Maß und Grenze jener Leidenschaft, sondern jenseits seiner Kraft, und willenlos bleibt jeder Wille, wenn ein anderer einen will. Vielleicht nur ein Mann kann das Ausweglose einer solchen Bindung ganz erfühlen, nur für ihn wird das ihm aufgezwungene Widerstrebenmüssen gleichzeitig Marter und Schuld. Denn wenn eine Frau gegen unerwünschte Leidenschaft sich wehrt, gehorcht sie im tiefsten dem Gesetz ihres Geschlechts; gleichsam urtümlich ist jedem Weibe die Geste der anfänglichen Weigerung eingetan, und selbst wenn sie glühendstem Begehren sich verweigert, kann man sie nicht unmenschlich nennen. Aber verhängnisvoll, sobald das Schicksal die Waage umstellt, sobald eine Frau ihre Scham so weit bezwungen hat, um einem Manne ihre Leidenschaft zu offenbaren, wenn sie ohne Gewißheit der Gegenliebe schon ihre Liebe bietet, und er, der Umworbene, bleibt abwehrend und kalt! Unlösbare Verstrickung dies immer, denn das Verlangen einer Frau nicht erwidern, heißt auch ihren Stolz zernichten, ihre Scham verstören; immer muß, wer einer begehrenden Frau sich verweigert, sie in ihrem Edelsten verletzen. Vergeblich dann alle Zartheit des Sichentziehens, sinnlos alle höflich ausweichenden Worte, beleidigend jedes Angebot bloßer Freundschaft, wenn einmal eine Frau ihre Schwachheit verraten hat – unrettbar wird jeder Widerstand eines Mannes zur Grausamkeit, immer gerät er, wenn er Liebe nicht nimmt, schuldlos in Schuld. Entsetzliche, unlösbare Fessel – eben hast du dich noch freigefühlt, du gehörtest dir selbst und warst keinem verschuldet, und plötzlich bist du gejagt und umstellt, Beute und Ziel einer ungewollten fremden Begierde. Du weißt, betroffen bis in den Abgrund deiner Seele: Tag und Nacht wartet jetzt jemand auf dich, denkt an dich, sehnt sich und stöhnt nach dir, eine Frau, eine Fremde! Sie will, sie fordert, sie verlangt dich mit jeder Pore ihres Wesens, mit ihrem Körper, mit ihrem Blut. Deine Hände, dein Haar, deine Lippen, deinen Leib will sie, deine Nacht und deinen Tag, dein Gefühl, dein Geschlecht und alle deine Gedanken und Träume. Alles will sie mit dir teilen, alles will sie dir nehmen und mit ihrem Atem in sich saugen. Immer, Tag und Nacht, ob du wachst oder schläfst, ist in der Welt jetzt ein Wesen irgendwo heiß und wach und wartet auf dich, jemand wacht dich und träumt dich. Vergebens, daß du nicht an sie denken willst, die immer an dich denkt, vergebens, daß du zu entfliehen suchst, denn du bist nicht mehr in dir, sondern in ihr. Wie ein wandernder Spiegel trägt plötzlich ein fremder Mensch dich innen in sich – nein, nicht wie ein Spiegel, denn der trinkt dein Bild doch nur, wenn du dich willig ihm bietest – sie aber, die Frau, die Fremde, die dich liebt, sie hat dich schon nach innen gesogen in ihr Blut. Immer hat sie dich innen und trägt dich mit sich, wohin du auch flüchtest. Immer bist du anderswo in einem andern Menschen verhaftet, gefangen, nie mehr du selbst, nie frei und unbefangen und

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