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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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sich's überhaupt besser, ich red mit ihr allein, da sprech ich mich viel freier aus und du brauchst dich nicht zu genieren. Am gescheitsten, du gehst in die Garderob', waschst dich gründlich ab und setzt dich hinein in die Bar. Ich komm in paar Minuten und geb dir Bescheid. Und sorg dich nicht. Ich dreh's schon so, wie du's willst.«
    Tatsächlich: er ließ mich nicht lange warten. Nach fünf Minuten trat er bereits lachend herein.
    »Na, hab' ich's nicht gesagt – alles in Ordnung, das heißt, wenn's dir paßt. Bedenkzeit unbegrenzt und Kündigung jederzeit. Meine Frau – sie ist wirklich eine g'scheite Frau – hat schon wieder einmal das Richtigste ausgeknobelt. Also: du kommst gleich auf ein Schiff, hauptsächlich damit du die Sprachen dort lernst und dir alles drüben einmal anschaun kannst. Du wirst dem Zahlmeister zugeteilt als Assistent, kriegst eine Uniform, ißt mit am Offizierstisch, fahrst ein paarmal hin und her nach Holländisch-Indien und hilfst bei der Schreiberei. Dann bringen wir dich schon wo unter, hüben oder drüben, ganz wie dir's paßt, meine Frau hat's mir in die Hand versprochen.«
    »Ich dan...«
    »Nichts zu danken. War doch ganz selbstverständlich,daß ich dir beispring. Aber noch einmal, Hofmiller, tu so was nicht aus dem Handgelenk! Von mir aus kannst schon übermorgen hinauffahren und meldst dich an, ich telegraphier jedenfalls an den Direktor, damit er deinen Namen notiert; aber besser wär's natürlich, du überschläfst die Sache noch einmal gründlich; ich hätte dich lieber beim Regiment, aber chacun à son goût. Wie g'sagt, wenn d' kommst, dann kommst eben, und wenn nicht, wer'n wir dich nicht einklagen ... Also« – er streckte mir die Hand hin – »ja oder nein, wie immer du dich entschließt, es hat mich aufrichtig g'freut. Servus.«
    Ich blickte diesen Menschen, den mir das Schicksal geschickt, wirklich ganz ergriffen an. Mit seiner wunderbaren Leichtigkeit hatte er mir das Schwerste abgenommen, das Bitten und Zögern und die quälende Spannung vor der Entschließung, so daß mir selbst nichts mehr zu tun übrig blieb als die einzige kleine Förmlichkeit: mein Abschiedsgesuch zu schreiben. Dann war ich frei und gerettet.
     
    Das sogenannte »Kanzleipapier«, ein auf den Millimeter vorschriftsmäßig ausgemessener Foliobogen ganz bestimmten Formats, war vielleicht das unentbehrlichste Requisit der österreichischen Zivil- und Militärverwaltung. Jedes Gesuch, jedes Aktenstück, jede Meldung hatte auf diesem säuberlich geschnittenen Papier erstattet zu werden, das durch die Einmaligkeit seiner Form alles Amtliche sichtbar vom Privaten absonderte; auf den Millionen und Milliarden dieser in den Kanzleien aufgeschichteten Blätter wird einmal vielleicht einzig verläßlich die ganze Lebens- und Leidensgeschichte der Habsburgischen Monarchie nachzulesen sein. Keine Mitteilung galt als richtig erstattet, wenn sie nicht auf diesem weißen Rechteck ausgefertigt wurde, und so war es denn auch mein erstes Geschäft, in der nächsten Tabaktrafikzwei solcher Bogen zu kaufen, dazu einen sogenannten »Faulenzer« – ein liniertes Unterlageblatt – sowie das dazugehörige Kuvert. Dann noch hinüber in ein Kaffeehaus, wo man in Wien alles erledigt, das Ernsteste wie das Übermütigste. In zwanzig Minuten, um sechs Uhr, konnte das Gesuch bereits geschrieben sein; dann gehörte ich wieder mir selbst und mir allein.
    Mit unheimlicher Deutlichkeit – es galt doch die wichtigste Entscheidung meines bisherigen Lebens – erinnere ich mich an jede Einzelheit dieser aufregenden Verrichtung, an den kleinen runden Marmortisch in der Fensterecke des Ringstraßencafés, an die Mappe, auf der ich das Blatt auseinanderfaltete, und wie ich es dann mit einem Messer, nur damit die Bruchlinie recht tadellos ausfalle, in der Mitte behutsam falzte. Die blauschwarze, etwas wäßrige Farbe der Tinte sehe ich noch photographiescharf vor mir und spüre den kleinen Ruck, mit dem ich ansetzte, um dem ersten Buschstaben den richtigen runden und pathetischen Schwung zu verleihen. Denn es reizte mich, gerade meine letzte militärische Handlung besonders korrekt zu vollziehen; da der Inhalt doch formelhaft feststand, konnte ich die Feierlichkeit des Akts nur durch besondere Sauberkeit und Schönheit der Handschrift bekunden.
    Aber schon während der ersten Zeilen unterbrach mich eine sonderbare Träumerei. Ich hielt inne und begann mir auszudenken, was morgen vor sich gehen würde, wenn dies Gesuch in der

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