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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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stattlicher wirkt: immerhin vier, fünf Sessel rund um den Tisch und die linke Wand voller Bücher.
    »So, da können's Ihna setzen«, deutet sie mit einer gewissen Herablassung auf einen der Stühle. Und sofort verstehe ich: Condor muß eine Armeleutepraxis haben. Reiche Patienten werden anders empfangen. Sonderbarer Mensch, sonderbarer Mensch, denke ich abermals. Er könnte doch an Kekesfalva allein reich werden, wenn er nur wollte.
    Nun, ich warte. Es wird das übliche nervöse Warten im Vorraum eines Arztes, wo man, ohne sie richtig lesen zu wollen, immer wieder in den abgegriffenen und längst zeitlos gewordenen Zeitschriften blättert, um die eigene Unruhe mit einem Schein von Beschäftigung zu betrügen. Wo man immer wieder aufsteht, immer wieder sich niedersetzt und immer wieder zur Uhr aufschaut, die mit schläfrigem Pendel in der Ecke tickt: sieben Uhr zwölf, sieben Uhr vierzehn, sieben Uhr fünfzehn, sieben Uhr sechzehn, und hypnotisch auf die Klinke zum Ordinationszimmer starrt. Schließlich – sieben Uhr zwanzig – kann ich nicht länger stillhalten. Zwei Sessel habe ich schon warmgesessen, so erhebe ich mich und trete zum Fenster. Unten im Hof ölt ein alter hinkender Mann – ein Dienstmann offenbar – die Räder seines Handwagens, hinter den erhellten Küchenfenstern plättet eine Frau, eine andere wäscht, glaube ich, ihr kleines Kind in einem »Schaffel«. Irgendwo, ich kann das Stockwerk nicht bestimmen, es muß aber knapp über mir oder unter mir sein, übt jemand Skalen, immer dieselben, immer dieselben. Wieder blicke ich auf die Uhr: sieben Uhr fünfundzwanzig, sieben Uhr dreißig. Warum kommt er denn nicht? Ich kann, ich will nicht mehr lange warten! Ich spüre, wie das Warten mich unsicher, wie es mich unbeholfen macht.
    Endlich – ich atme auf – nebenan eine zuklappende Tür. Sofort setze ich mich in Positur. Haltung jetzt, ganz locker vor ihm tun, wiederhole ich mir. Ganz leger erzählen, daß ich nur en passant gekommen bin, um mich zu verabschieden, ganz nebenbei ihn bitten, er möge bald hinausfahren zu den Kekesfalvas und, wenn sie mißtrauisch werden sollten, ihnen explizieren, ich hätte nach Holland müssen und aus dem Dienst. Himmelherrgott, verdammt noch einmal, warum läßt er mich denn noch immer warten! Deutlich höre ich, wie nebenan schon ein Stuhlgerückt wird. Hat der blöde Trampel von Dienstbote mich am Ende nicht angemeldet?
    Schon will ich hinaus und das Mädchen an mich erinnern. Aber mit einem Mal stocke ich. Denn der da nebenan geht, kann nicht Condor sein. Ich kenne seinen Schritt. Ich weiß genau – von jener Nacht, da ich ihn begleitete – wie kurzbeinig, kurzatmig, schwer und tapsig er mit seinen knarrenden Schuhen geht; dieser Schritt nebenan aber, der immer wieder kommt und sich immer wieder entfernt, ist ein ganz anderer, ein zaghafter, ein unsicherer, ein schlurfender Schritt. Ich weiß nicht, warum ich auf diesen fremden Schritt eigentlich so aufgeregt, so ganz von innen heraus hinhorche. Aber mir ist, als lauschte und spürte nebenan jener andere Mensch genau so unsicher und unruhig herüber. Auf einmal vernehme ich ein ganz dünnes Geräusch an der Tür, als drückte oder spielte jemand dort an der Klinke; und wirklich, sie bewegt sich schon. Der dünne Streif Messing rührt sich sichtlich im Dämmern, und die Tür tut sich auf zu einem schmalen schwarzen Spalt. Vielleicht ist es nur Zugluft, vielleicht nur der Wind, sage ich mir, denn so schleicherisch klinkt kein normaler Mensch die Tür auf, höchstens ein Einbrecher in der Nacht. Aber nein, der Spalt wird breiter. Es muß von innen eine Hand den Türflügel ganz vorsichtig vorschieben, und jetzt merke ich auch im Dunkel einen menschlichen Schatten. Festgebannt starre ich hin. Da fragt hinter dem Spalt eine Frauenstimme ganz zaghaft:
    »Ist ... ist jemand hier?«
    Mir versagt die Antwort in der Kehle. Ich weiß sofort: von allen Menschen kann nur einer so sprechen und fragen: ein Blinder. Nur Blinde gehen und schlurfen und tappen so leise, nur sie haben diesen unsicheren Ton in der Stimme. Und im gleichen Moment blitzt eine Erinnerung mich durch. Hat Kekesfalva nicht erwähnt, Condor habeeine blinde Frau geheiratet? Sie muß es sein, nur sie kann es sein, die da hinter dem Türspalt steht und fragt und mich dabei nicht wahrnimmt. Mit aller Anstrengung starre ich hin, um in dem Schatten ihren Schatten zu fassen, und unterscheide schließlich eine hagere Frau in weitem Schlafrock und mit grauem,

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