Ungeduld des Herzens.
ist, nutzt kein Zureden und Wegreden mehr. Da muß man eben als Kamerad zugreifen, und daß da nix fehlen wird, dafür braucht's kein besonderes Jurament. Nur eins, Hofmiller, so vernünftig wirst doch sein, daß dir nicht einredst, ichkönnt dich bei uns gleich in Glanz und Glorie hinaufschubsen. So was gibt's in keinem ordentlichen Betrieb, das möchte nur böses Blut machen bei die andern, wenn einer ihnen mir nix, dir nix über die Schultern springt. Du mußt schon ganz von unten anfangen, vielleicht ein paar Monate bei blödsinnigen Schreibereien im Kontor sitzen, bevor man dich hinüberschicken kann in die Plantagen oder sonst was herauszaubern. Jedenfalls, wie g'sagt, ich wer's schon deichseln. Morgen fahren wir ab, meine Frau und ich, acht oder zehn Tage bummeln wir in Paris, dann geht's für ein paar Tage nach Havre und Antwerpen, Inspektion in den Agenturen. Aber in rund drei Wochen sind wir zurück, und gleich aus Rotterdam schreib ich dir. Keine Sorg – ich vergeß nicht! Auf den Balinkay kannst dich verlassen.«
»Ich weiß«, sagte ich, »und ich dank dir schön.«
Aber Balinkay mußte die leichte Enttäuschung hinter meinen Worten gespürt haben (wahrscheinlich hatte er selbst Ähnliches mitgemacht, denn nur, wer derlei erlebt hat, bekommt ein Ohr für solche Zwischentöne).
»Oder ... oder wäre dir das schon zu spät?«
»Nein«, zögerte ich, »sobald ich's einmal sicher weiß, dann natürlich nicht. Aber ... aber lieber wär's mir schon gewesen, wenn ...«
Balinkay dachte kurz nach. »Heut zum Beispiel hättst keine Zeit? ... Ich mein, weil meine Frau heut noch in Wien ist, und da das G'schäft ihr g'hört und nicht mir, hat sie doch das entscheidende Wörtel dabei.«
»Doch – selbstverständlich bin ich frei«, sagte ich rasch. Mir war eben eingefallen, daß der Oberst heute meiner »Visage« nicht mehr begegnen wollte.
»Bravo! Famos! Dann wär's doch am g'scheitsten, du fährst einfach mit in der Kraxen! Vorn beim Chauffeur ist noch Platz. Rückwärts kannst freilich nicht sitzen, ich hab' meinen alten dasigen Freund Baron Lajos mit derSeinigen eingeladen. Um fünf Uhr sind wir beim Bristol, ich sprech sofort mit meiner Frau, und damit sind wir überm Berg; die hat noch nie nein gesagt, wenn ich sie für einen Kameraden um was gebeten hab'.«
Ich drückte ihm die Hand. Wir gingen die Treppe hinab. Die Mechaniker hatten die blauen Kittel bereits ausgezogen, das Automobil stand bereit; zwei Minuten später knatterten wir mit dem Wagen hinaus auf die Chaussee.
Im Seelischen wie im Körperlichen hat Geschwindigkeit gleichzeitig etwas Berauschendes und Betäubendes. Kaum daß der Wagen aus den Straßen hinaus ins freie Feld puffte, kam eine merkwürdige Entspannung über mich. Der Chauffeur fuhr scharf; wie schief weggehauen stürzten die Bäume, die Telegraphenstangen zurück, in den Dörfern taumelten Haus und Haus ineinander wie in einem verwackelten Bild, Meilensteine sprangen weiß auf und duckten sich schon wieder, noch ehe man ihre Ziffer ablesen konnte, und an der stürmischen Art, wie der Wind mir ins Gesicht schlug, spürte ich, in welchem verwegenen Tempo wir dahinbrausten. Aber noch stärker vielleicht war das Staunen über die Geschwindigkeit, mit der mein eigenes Leben gleichzeitig fortjagte: was alles an Entscheidungen hatte sich in diesen wenigen Stunden vollzogen! Sonst schwingen und schweben doch immer zwischen vagem Wunsch, dämmernder Absicht und endgültiger Vollführung in unzähligen Nuancen schattende Zwischengefühle, und es gehört zur geheimsten Lust des Herzens, mit Entschlüssen erst unsicher zu spielen, ehe man sie tatbewußt verwirklicht. Diesmal jedoch war alles mit traumhafter Geschwindigkeit auf mich niedergefahren, und wie hinter dem hämmernden Wagen Dörfer und Straßen und Bäume und Wiesen ins Nichts wegtaumelten,endgültig und ohne Wiederkehr, so sauste jetzt mit einem Ruck alles fort, was bisher mein tägliches Leben gewesen, die Kaserne, die Karriere, die Kameraden, die Kekesfalvas, das Schloß, mein Zimmer, die Reitschule, meine ganze, scheinbar so gesicherte und geregelte Existenz. Eine einzige Stunde hatte meine innere Welt verändert.
Um halb sechs hielten wir vor dem Hotel Bristol, scharf durchgerüttelt, ganz angestaubt und doch durch dies Sausen wunderbar erfrischt.
»So kannst nicht hinaufkommen zu meiner Frau«, lachte mich Balinkay an. »Du schaust ja aus, als hätt man einen Mehlsack über dich ausgeschüttet. Und vielleicht macht
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