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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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nahm. Es war eine feige, eine klägliche Flucht.
    Aber etwas Getanes hat immer Kraft. Nun, da das Abschiedsgesuch schon geschrieben war, wollte ich mich nicht mehr dementieren. Zum Teufel, sagte ich mir zornig, was geht's mich an, ob die da draußen wartet und flennt! Sie haben mich genug geärgert, mich genug verwirrt. Was geht's mich an, daß der eine fremde Mensch mich liebt? Sie wird mit ihren Millionen schon einen andern finden, und wenn nicht, es ist nicht meine Sache. Genug, daß ich alles hinhaue, daß ich mir die Uniform abreiße! Was geht mich diese ganze hysterische Angelegenheit an, ob sie gesund wird oder nicht? Ich bin doch kein Arzt ...
    Aber bei diesem innerlichen Wort »Arzt« stoppten plötzlich meine Gedanken wie eine rasend rotierende Maschine auf ein einziges Signal. Bei diesem Wort »Arzt« war mir Condor eingefallen. Und: seine Sache! seine Angelegenheit! sagte ich mir sofort. Er wird dafür bezahlt, Kranke zu kurieren. Sie ist seine Patientin und nicht die meine. Er soll alles auslöffeln, so wie er alles eingebrockt hat. Am besten ich geh sofort zu ihm und erklär ihm, daß ich ausspring aus dem Spiel.
    Ich blicke auf die Uhr. Dreiviertel sieben, und mein Schnellzug fährt erst nach zehn. Also reichlich Zeit, viel brauch ich ihm nicht zu erklären: eben nur, daß ich Schlußmache für meine Person. Aber wo wohnt er denn? Hat er's mir nicht gesagt oder hab ich's vergessen? Übrigens – als praktischer Arzt muß er im Telephonverzeichnis stehen, also rasch hinüber in die Telephonzelle und das Verzeichnis aufgeblättert! Be.. Bi.. Bu.. Ca.. Co.. da sind sie alle, die Condors, Condor Anton, Kaufmann ... Condor Dr. Emmerich, praktischer Arzt, VIII., Florianigasse 97, und kein anderer Arzt auf der ganzen Seite – das muß er sein. Noch im Hinauslaufen wiederhole ich mir zweimal, dreimal die Adresse – ich habe keinen Bleistift bei mir, alles habe ich vergessen in meiner mörderischen Hast – ruf sie gleich dem nächsten Fiaker zu, und während der Wagen rasch und weich auf seinen Gummirädern rollt, mache ich schon meinen Plan zurecht. Nur knapp, nur energisch loslegen. Keinesfalls tun, als ob ich noch schwankte. Ihn gar nicht auf die Vermutung bringen, daß ich etwa wegen der Kekesfalvas auskneife, sondern von vornherein den Abschied als fait accompli hinstellen. Es sei alles seit Monaten eingeleitet gewesen, doch heute erst hätte ich diese ausgezeichnete Stellung in Holland bekommen. Wenn er trotzdem noch lang herumfragt, ablehnen und nichts weiter sagen! Er hat mir schließlich auch nicht alles gesagt. Ich muß endlich aufhören mit diesem ewigen Rücksichtnehmen auf andere.
    Der Wagen stoppt. Hat sich der Kutscher nicht geirrt oder hab ich in meiner Eile eine falsche Adresse angegeben? Sollte dieser Condor wirklich so schäbig wohnen? Schon bei den Kekesfalvas allein muß er ein Mordsgeld verdienen, und in so einer Baracke haust kein Arzt von Rang. Aber nein, er wohnt doch hier, da hängt im Hausflur das Schild: »Dr. Emmerich Condor, zweiter Hof, dritter Stock, Sprechstunde von zwei bis vier.« Zwei bis vier, und jetzt geht's schon auf sieben. Immerhin, für mich muß er zu sprechen sein. Ich fertige rasch den Fiaker ab und überquere den schlecht gepflasterten Hof. Was dasfür eine schäbige Wendeltreppe ist, ausgetretene Stufen, abgeblätterte, bekritzelte Wände, Geruch nach mageren Küchen und schlecht geschlossenen Klosetts, Frauen in schmutzigen Schlafröcken, die auf den Gängen Zwiesprache halten und mißtrauisch auf den Kavallerieoffizier blicken, der da in der Dämmerung etwas verlegen an ihnen vorbeiklirrt!
    Endlich der dritte Stock, abermals ein langer Gang, rechts und links Türen und eine in der Mitte. Ich will eben in die Tasche greifen, um ein Streichholz anzuflammen, und die richtige festzustellen, da tritt aus der linken Tür ein ziemlich unordentlich gekleidetes Dienstmädchen, einen leeren Krug in der Hand, wahrscheinlich um Bier für das Nachtessen zu holen. Ich frage nach Doktor Condor.
    »Ja, wohnt sich hier«, böhmelt sie zurück. »Aber is noch nich z'Haus. Is aussi g'fahren nach Meidling, muß aber bald zaruk sein. Hat zur gnä Frau g'sagt, daß bestimmt zu Nachtmahl kommt. Kummen's nur und warten's!«
    Noch ehe ich Zeit habe, zu überlegen, führt sie mich ins Vorzimmer.
    »Da legen's ab« – sie weist auf einen alten Garderobekasten aus weichem Holz, wohl das einzige Möbelstück des kleinen dunklen Vorraums. Dann klinkt sie das Wartezimmer auf, das etwas

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