Ungeduld des Herzens.
Regimentskanzlei anlangte. Wahrscheinlich zuerst ein verdutzter Blick des Kanzleifeldwebels, dann erstauntes Flüstern unter den subalternen Schreibern – es war doch nichts Alltägliches, daß ein Leutnant einfach seine Charge hinschmiß. Dann läuft das Blatt den Dienstweg von Zimmer zu Zimmer bis zum Oberst persönlich; ich sehe ihn plötzlich leibhaftig vor mir, wie er sich den Kneifer vor seine fernsichtigen Augenklemmt, bei den ersten Worten stutzt und dann in seiner cholerischen Art mit der Faust auf den Tisch haut; der rüde Kerl ist allzusehr gewohnt, daß seine Untergebenen, denen er Dreck um die Ohren geschmissen, gleich wieder beglückt mit dem Steiß wackeln, wenn er ihnen am nächsten Tage durch ein burschikoses Wort zu verstehen gibt, das Donnerwetter habe sich endgültig verzogen. Diesmal aber wird er merken, daß er auf einen anderen Hartschädel gestoßen ist und zwar auf den kleinen Leutnant Hofmiller, der sich nicht anschnauzen läßt. Und wenn's später herauskommt, daß der Hofmiller seinen Abschied nimmt, werden zwanzig, vierzig Köpfe unwillkürlich aufrucken vor Erstaunen. Alle die Kameraden, jeder für sich, werden sich denken: Donnerwetter noch einmal, das ist aber ein Kerl! Der läßt sich nichts gefallen. Verflucht unangenehm kann es sogar für den Herrn Oberst Bubencic werden – jedenfalls einen honorigeren Abschied hat niemand im Regiment gehabt, anständiger ist noch keiner aus der Kluft gefahren, solange ich mich erinnern kann.
Ich schämte mich nicht, zu bekennen, daß, während ich alles das austräumte, eine merkwürdige Selbstzufriedenheit über mich kam. Bei allen unseren Handlungen bildet doch Eitelkeit einen der stärksten Antriebe, und ganz besonders erliegen schwächliche Naturen der Versuchung, etwas zu tun, was nach außen hin wie Kraft; wie Mut und Entschlossenheit wirkt. Zum erstenmal hatte ich jetzt Gelegenheit, den Kameraden zu beweisen, daß ich einer war, der sich respektierte, ein ganzer Kerl! Immer rascher und, wie ich glaube, mit immer energischeren Zügen schrieb ich die zwanzig Zeilen zu Ende; was anfangs nur eine ärgerliche Verrichtung gewesen, wurde mit einmal zu persönlicher Lust.
Nun noch die Unterschrift – damit war alles erledigt. Ein Blick auf die Uhr: halb sieben. Den Kellner jetzt rufenund bezahlen. Dann noch einmal, zum letztenmal, die Uniform auf der Ringstraße spazierenführen und mit dem Nachtzug heim. Morgen früh den Wisch abgeben, damit ist alles unwiderruflich geworden, eine andere Existenz fängt an.
So nahm ich also den Foliobogen, faltete ihn erst der Länge, dann ein zweites Mal der Breite nach zusammen, um das schicksalhafte Dokument sorglich in der Brusttasche zu verstauen. In diesem Augenblick geschah das Unerwartete.
Es geschah folgendes: In jener halben Sekunde, da ich sicher, selbstbewußt, ja sogar freudig (jede Erledigung macht einen froh) das ziemlich umfängliche Kuvert in die Brusttasche schob, spürte ich dort von innen einen knisternden Widerstand. Was steckt denn da drin, dachte ich unwillkürlich und griff hinein. Aber schon zuckten meine Finger zurück, als hätten sie, ehe ich selbst mich erinnerte, begriffen, was dies Vergessene war. Es war der Brief Ediths, ihre beiden Briefe von gestern, der erste und der zweite.
Ich kann nicht genau das Gefühl beschreiben, das mich bei diesem jähen Erinnern überkam. Ich glaube, es war nicht so sehr Erschrecken als namenlose Beschämung. Denn in diesem Augenblick riß ein Nebel oder vielmehr eine Selbstbenebelung durch. Blitzhaft erkannte ich, daß alles, was ich in den letzten Stunden getan und gedacht, völlig unwahr gewesen war: der Ärger über meine Blamage und ebenso der Stolz auf mein heroisches Quittieren. Wenn ich plötzlich auspaschte, war es doch nicht, weil der Oberst mich abgekanzelt hatte (das passierte schließlich jede Woche); in Wirklichkeit flüchtete ich vor den Kekesfalvas, vor meinem Betrug, vor meiner Verantwortung, ich lief davon, weilich es nicht ertragen konnte, geliebt zu werden wider meinen Willen. Genau wie ein Todkranker über einem zufälligen Zahnschmerz sein eigentlich marterndes, sein tödliches Leiden vergißt, so hatte ich, was mich in Wahrheit peinigte, was mich feig, was mich flüchtig machte, vergessen (oder vergessen wollen) und statt dessen jenes kleine und im Grunde belanglose Mißgeschick am Exerzierplatz als Motiv meines Fortwollens vorgeschoben. Aber nun sah ich: es war kein heroischer Abschied aus gekränkter Ehre, den ich
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