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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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ganzen Tag war er unterwegs ... Bitte haben Sie Rücksicht! Haben Sie doch Mitl...«
    In diesem Augenblick öffnete sich die Tür und Condor trat ins Zimmer.
    Er übersah zweifellos auf den ersten Blick die Situation. Aber nicht eine Sekunde lang verlor er die Fassung.
    »Ach, du hast dem Herrn Leutnant Gesellschaft geleistet«, sagte er in seiner jovialen Art, hinter der er, dasmerkte ich nun schon, am liebsten starke Spannungen verbarg. »Wie lieb von dir, Klara.«
    Gleichzeitig ging er auf die Blinde zu und strich ihr zart über das graue und verwirrte Haar. Sofort veränderte sich bei dieser Berührung ihr ganzer Ausdruck. Die Angst, die eben noch ihren großen, schweren Mund verzerrt hatte, glättete sich unter diesem einen zärtlichen Strich, und mit einem hilflos verschämten, einen geradezu bräutlichen Lächeln wandte sie sich, kaum daß sie seine Nähe spürte, ihm zu; rein und hell glänzte die etwas eckige Stirn im Reflex des Lichts. Unbeschreiblich war dieser Ausdruck persönlicher Beruhigung und Gesichertheit nach jenem Ausbruch der Heftigkeit. Anscheinend vergaß sie meine Gegenwart vollkommen über dem Glück, die seine zu fühlen. Ihre Hand tastete, magnetisch angezogen, ihm durch die leere Luft entgegen, und sofort, da die weich suchenden Finger seinen Rock erreichten, strichen sie schon rieselnd aber- und abermals den Arm entlang. Verstehend, daß ihr ganzer Körper seine Nähe suchte, trat er heran, und nun lehnte sie an ihm, wie ein völlig Erschöpfter hinsinkt zur Rast. Lächelnd legte er den Arm um ihre Schultern und wiederholte, ohne mich anzusehen:
    »Wie lieb von dir, Klara«, und seine Stimme streichelte gleichsam mit.
    »Verzeih mir«, begann sie sich zu entschuldigen, »aber ich hab dem Herrn doch erklären müssen, daß du erst dein Essen haben sollst, du mußt schrecklich hungrig sein. Den ganzen Tag unterwegs, und zwölfmal, fünfzehnmal hat's inzwischen um dich telephoniert ... Verzeih, daß ich dem Herrn sagte, er solle lieber morgen kommen, aber ...«
    »Diesmal, Kind«, lachte er und strich zugleich wieder mit der Hand über ihr Haar (ich verstand, er tat es, damit sein Lachen sie nicht kränken könnte), »hast du dich aber mit dem Abschieben gründlich geirrt. Dieser Herr, der Herr Leutnant Hofmiller, ist glücklicherweise kein Patient,sondern ein Freund, der schon lang versprochen hat, mich zu besuchen, wenn er einmal in die Stadt kommt. Er kann sich ja nur immer abends freimachen, bei Tag steckt er im Dienst. Jetzt bleibt nur die Hauptfrage: hast du auch für ihn etwas Gutes zum Nachtmahl?«
    Neuerdings begann die ängstliche Spannung in ihrem Gesicht, und ich verstand an ihrem impulsiven Erschrecken, daß sie allein sein wollte mit dem Langentbehrten.
    »Oh nein, danke«, lehnte ich eilig ab. »Ich muß gleich weiter. Ich darf den Nachtzug nicht versäumen. Ich wollte wirklich nur Grüße von draußen überbringen, und das kann in ein paar Minuten geschehen.«
    »Ist draußen alles in Ordnung?« fragte Condor, mir scharf in die Augen blickend. Und irgendwie mußte er bemerkt haben, daß etwas nicht in Ordnung war, denn er fügte rasch hinzu: »Also hören Sie, lieber Freund, meine Frau weiß immer, wie's mit mir steht, sie weiß es meist besser als ich selbst. Ich habe tatsächlich einen furchtbaren Hunger, und ehe ich nicht was gegessen und mir meine Zigarre verdient habe, bin ich zu nichts zu gebrauchen. Wenn's dir recht ist, Klara, gehn wir zwei jetzt ruhig hinüber zum Essen und lassen den Herrn Leutnant ein bissel warten. Ich gebe ihm unterdessen ein Buch oder er ruht sich aus – Sie haben wohl auch einen ausgiebigen Tag hinter sich«, wandte er sich mir zu. »Wenn ich bei der Zigarre bin, komm ich zu Ihnen herüber, allerdings in Pantoffeln und Hausrock – nicht wahr, Herr Leutnant, Sie verlangen ja von mir keine große Toilette ...«
    »Und ich bleibe wirklich nur zehn Minuten, gnädige Frau ... ich muß dann schleunigst zur Bahn.«
    Dieses eine Wort erhellte wieder vollkommen ihr Gesicht. Beinahe freundlich wandte sie sich mir zu.
    »Wie schade, daß Sie nicht mit uns speisen wollen, Herr Leutnant. Aber ich hoffe, Sie kommen ein anderes Mal.«
    Ihre Hand kam mir entgegen, eine sehr zarte, schmale,schon etwas verblichene und verfaltete Hand. Ich küßte sie respektvoll. Und mit ehrlicher Ehrfurcht blickte ich zu, wie Condor die Blinde vorsichtig durch die Tür steuerte, geschickt verhütend, daß sie zur Rechten oder Linken anstreifte: es war, als hielte er etwas

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