Ungeduld des Herzens.
unsäglich Zerbrechliches und Kostbares in seiner Hand.
Zwei, drei Minuten blieb die Tür offen, ich hörte die leise schlurfenden Schritte sich entfernen. Dann kam Condor noch einmal zurück. Er hatte ein anderes Gesicht als vordem, jenes wachsame, scharfe Gesicht, das ich in den Augenblicken innerer Spannung an ihm kannte. Zweifellos hatte er begriffen, daß ich nicht ohne zwingenden Grund ihm unangemeldet ins Haus gefallen war.
»Ich komme in zwanzig Minuten. Wir sprechen dann alles rasch durch. Am besten, Sie legen sich inzwischen auf das Sofa oder strecken sich hier in den Fauteuil. Sie gefallen mir nicht, mein Lieber, Sie sehen schrecklich übermüdet aus. Und wir müssen doch beide frisch und konzentriert sein.«
Und rasch die Stimme umwechselnd, fügte er laut hinzu, um bis ins dritte Zimmer hörbar zu sein:
»Ja, liebe Klara, da bin ich schon wieder. Ich hab nur dem Herrn Leutnant rasch ein Buch hingelegt, damit er sich inzwischen nicht langweilt.«
Condors geschulter Blick hatte richtig gesehen. Jetzt erst, da er es ausgesprochen, merkte ich selbst, wie furchtbar übermüdet ich war von der zerstörten Nacht und dem mit Spannungen überfüllten Tag. Seinem Rate folgend – schon spürte ich, daß ich ganz seinem Willen verfallen war – streckte ich mich in den Fauteuil seines Ordinationszimmers, den Kopf ins Tiefe zurückgelehnt, die Hände lasch auf die weiche Lehne gestützt. Draußen mußte die Dämmerung während meines beklommenen Wartens völligniedergesunken sein; ich unterschied im Raum kaum mehr etwas anderes als das silberne Blinken der Instrumente in dem hohen Glaskasten, und über der rückwärtigen Ecke rund um den Fauteuil, in dem ich ruhte, wölbte sich eine völlige Nische von Nacht. Unwillkürlich schloß ich die Augen, und sofort erschien, wie in einer Laterna magica, das Gesicht der Blinden mit jenem unvergeßlichen Übergang von Erschrecktheit in jähe Beglückung, kaum daß Condors Hand sie berührt, sein Arm sie umfangen hatte. Wunderbarer Arzt, dachte ich, wenn du nur auch mir so helfen könntest, und ich fühlte noch verworren, daß ich weiter denken wollte, an irgend jemand anderen, der ebenso unruhig und verstört gewesen und gleich ängstlich blickte, an irgend etwas Bestimmtes, um dessentwillen ich hierher gekommen war. Aber es gelang mir nicht mehr.
Plötzlich berührte mich eine Hand an der Schulter. Condor mußte leisesten Schritts in das völlig nachtschwarze Zimmer getreten sein oder vielleicht war ich wirklich eingeschlafen. Ich wollte aufstehen, aber er drückte mir, sanft und energisch zugleich, die Schultern nieder.
»Bleiben Sie. Ich setz mich zu Ihnen. Es spricht sich besser im Dunkeln. Nur eines bitte ich Sie: sprechen wir leise! Ganz leise! Sie wissen ja, bei Blinden entwickelt sich manchmal auf magische Weise das Gehör und dazu noch ein geheimnisvoller Instinkt des Erratens. Also« – und dabei strich mir seine Hand wie hypnotisierend von der Schulter den Arm herab bis zu meiner Hand – »erzählen Sie und haben Sie keine Scheu. Ich habe gleich bemerkt, daß was mit Ihnen los ist.«
Sonderbar – in dieser Sekunde fiel es mir ein. Ich hatte in der Kadettenschule einen Kameraden gehabt, Erwin hieß er, zart und blond wie ein Mädchen; ich glaube, ich war sogar auf uneingestandene Weise ein wenig in ihnverliebt. Bei Tag sprachen wir fast nie miteinander oder bloß über gleichgültige Dinge; wahrscheinlich schämten wir uns beide unserer heimlichen und uneingestandenen Neigung. Nur nachts im Schlafsaal, wenn die Lichter gelöscht waren, fanden wir manchmal Mut; aufgestützt auf den Ellenbogen in unseren nachbarlichen Betten, erzählten wir uns im schützenden Dunkel, während alle anderen im Zimmer schliefen, unsere kindischen Gedanken und Betrachtungen, um dann am nächsten Morgen uns unfehlbar mit der gleichen Befangenheit wieder auszuweichen. Jahre und Jahre hatte ich mich an diese flüsternden Geständnisse, die das Glück und Geheimnis meiner Knabenjahre gewesen, nicht mehr erinnert. Aber nun, da ich ausgestreckt lag und das Dunkel um mich schattete, vergaß ich gänzlich meinen Vorsatz, mich vor Condor zu verstellen. Ohne daß ich es wollte, wurde ich völlig aufrichtig; und wie damals dem Kameraden der Kadettenschule die kleinen Erbitterungen und großen, wilden Träume unserer kindischen Jugend, berichtete ich nun – und es war eine geheime Lust des Gestehens dabei – Condor den unvermuteten Ausbruch Ediths, mein Entsetzen, meine Angst, meine
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