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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Verstörung. Alles erzählte ich in dieses schweigsame Dunkel, in dem sich nichts regte als die beiden Augengläser, die manchmal, wenn er den Kopf bewegte, undeutlich blitzten.
    Dann kam ein Schweigen und nach dem Schweigen ein merkwürdiger Laut. Offenbar hatte Condor die Finger gegeneinander gepreßt, daß die Gelenke knackten.
    »Das also war's«, knurrte er unwillig. »Und ich Dummkopf konnte so was übersehen! Immer wieder dasselbe, daß man hinter der Krankheit den Kranken nicht mehr spürt. Mit diesem akkuraten Untersuchen und Herumtasten nach allen Symptomen greift man gerade am Wesentlichen vorbei, an dem, was in dem Menschen selber vorgeht. Das heißt – etwas habe ich gleich bei demMädel gespürt; Sie erinnern sich, wie ich nach der Untersuchung den Alten fragte, ob nicht jemand anderer in die Behandlung eingegriffen hätte – dieser plötzliche und hitzige Wille, rasch-rasch gesund zu werden, hatte mich sofort stutzig gemacht. Ich hatte schon ganz richtig getippt, daß da jemand Fremder im Spiel war. Aber ich Schwachkopf dachte nur an einen Barbier oder Magnetiseur; ich glaubte, irgendein Hokuspokus hätt ihr den Kopf verdreht. Einzig an das Einfachste, das Logische habe ich nicht gedacht, nur an das nicht, was klar auf der Hand lag. Verliebtheit gehört im Übergangsalter doch geradezu organisch zu einem Mädchen. Nur vertrackt, daß das gerade jetzt passieren muß und derart vehement – o Gott, das arme, das arme Kind!«
    Er war aufgestanden. Ich hörte das Auf und Ab seiner kurzen Schritte und den Seufzer:
    »Schrecklich, just jetzt muß das geschehen, da wir diese Sache mit der Reise angezettelt haben. Und dabei kann kein Gott das mehr zurückschrauben, weil sie sich suggeriert, sie müsse für Sie geheilt werden, nicht für sich selbst. Furchtbar, o furchtbar wird das werden, wenn dann der Rückschlag kommt. Jetzt, da sie alles erhofft und fordert, wird keine kleine Besserung ihr mehr genügen, kein bloßer Fortschritt! Mein Gott, was für eine schreckliche Verantwortung haben wir da übernommen!«
    In mir regte sich plötzlich ein Widerstand. Mich ärgerte dieses Mich-einbeziehen. Ich war doch gekommen, um mich freizumachen. So unterbrach ich entschieden:
    »Ich teile ganz Ihre Meinung. Die Folgen werden unabsehbar. Man muß diesen unsinnigen Wahn rechtzeitig abstellen. Sie müssen energisch eingreifen. Sie müssen ihr sagen ...«
    »Was sagen?«
    »Nun ... daß diese Verliebtheit einfach eine Kinderei, ein Unsinn ist. Sie müssen ihr das ausreden.«
    »Ausreden? Was ausreden? Einer Frau ihre Leidenschaft ausreden? Ihr sagen, sie soll nicht fühlen, wie sie fühlt? Nicht lieben, wenn sie liebt? Das wäre kerzengrad das Allerfalscheste, was man tun könnte, und das Dümmste zugleich. Haben Sie je gehört, daß man mit Logik aufkommt gegen eine Leidenschaft? Daß man dem Fieber zureden kann: ›Fieber, fiebre nicht‹ oder dem Feuer: ›Feuer, brenn' nicht!‹ Ein schöner, ein wahrhaft menschenfreundlicher Gedanke, einer Kranken, einer Gelähmten ins Gesicht zu schreien: ›Red' dir um Gottes willen nicht ein, daß auch du lieben darfst! Gerade von dir ist es anmaßend, Gefühl zu zeigen, Gefühl zu erwarten – du hast zu kuschen, weil du ein Krüppel bist! Marsch in den Winkel! Verzichte, gib's auf! Gib dich selber auf!‹ – So wünschen Sie offenbar, daß ich mit der Armen rede. Aber denken Sie sich gütigst dazu auch die gloriose Wirkung aus!«
    »Aber gerade Sie müssen ...«
    »Warum ich? Sie haben doch ausdrücklich alle Verantwortung auf sich genommen? Warum jetzt justament ich?«
    »Ich kann ihr doch nicht selbst zugeben, daß ...«
    »Sollen Sie auch gar nicht! Dürfen Sie auch gar nicht! Erst sie verrückt machen und dann auf einen Hieb Vernunft fordern! ... Das fehlte gerade noch! Selbstredend dürfen Sie mit keinem Ton und keinem Wink das arme Kind ahnen lassen, daß seine Zuneigung Ihnen peinlich ist – das hieße doch geradezu einen Menschen mit dem Beil auf den Kopf schlagen!«
    »Aber ...« – die Stimme versagte mir – »jemand muß ihr schließlich doch klarmachen ...«
    »Was klarmachen? Drücken Sie sich freundlichst präziser aus!«
    »Ich meine ... daß ... daß das völlig aussichtslos ist, völlig absurd ... damit sie dann nicht ... wenn ich ... wenn ich ...«
    Ich stockte. Auch Condor schwieg. Er wartete offenbar. Dann machte er unvermittelt zwei starke Schritte zur Tür und griff an den Lichtschalter. Scharf und mitleidslos – der grelle Schuß Licht zwang

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