Ungeduld des Herzens.
etwas wirrem Haar. O Gott, diese reizlose, unschöne Frau ist seine Frau! Furchtbar, sich von solchen vollkommen toten Augensternen angestarrt zu fühlen und zu wissen, daß man doch nicht gesehen wird; gleichzeitig spüre ich an der Art, wie sie jetzt den Kopf horchend vorschiebt, wie sehr sie sich mit allen Sinnen bemüht, in dem für sie unfaßbaren Raum den fremden Menschen zu fassen; diese Anspannung verzerrt ihren schweren, großen Mund noch stärker ins Unschöne.
Eine Sekunde bleibe ich stumm. Dann stehe ich auf und verbeuge mich – ja, ich verbeuge mich, obwohl es doch ganz sinnlos ist, sich vor einer Blinden zu verbeugen – und stammle:
»Ich ... ich warte hier auf den Herrn Doktor.«
Sie hat jetzt die Türe ganz geöffnet. Mit der linken Hand hält sie sich noch an der Klinke fest, als suchte sie eine Stütze im schwarzen Raum. Dann tappt sie vor, schärfer spannen sich die Brauen über den erloschenen Augen, und eine andere Stimme, eine ganz harte, herrscht mich an:
»Jetzt ist kein Ordination mehr. Wenn mein Mann nach Hause kommt, muß er zuerst essen und ausruhen. Können Sie nicht morgen kommen?«
Immer unruhiger wird ihr Gesicht bei jedem Wort, man sieht, sie kann sich kaum beherrschen. Eine Hysterikerin, denke ich mir sofort. Nur sie nicht reizen. Und so murmle ich – dummerweise mich abermals ins Leere verbeugend:
»Verzeihen Sie, gnädige Frau ... ich denke natürlichnicht daran, den Herrn Doktor noch so spät zu konsultieren. Ich wollte ihm nur eine Mitteilung machen ... es handelt sich um eine seiner Kranken.«
»Seine Kranken! Immer seine Kranken!« – die Erbitterung schlägt um in einen weinerlichen Ton. »Heut nachts um halb zwei hat man ihn geholt, heut früh um sieben Uhr ist er schon weg und seit der Ordination nicht wieder zurück. Er muß doch selbst krank werden, wenn man ihm nicht Ruhe läßt! Aber Schluß jetzt! Jetzt ist keine Ordination, hab ich Ihnen gesagt. Um vier Uhr ist Schluß. Schreiben Sie ihm auf, was Sie wollen, oder wenn's dringlich ist, gehn Sie zu einem andern Arzt. Es gibt Ärzte genug in der Stadt, an jeder Straßenecke vier.«
Sie tappt näher heran, und wie schuldbewußt weiche ich zurück vor diesem zornig erregten Gesicht, in dem die aufgerissenen Augen plötzlich glänzen wie angeleuchtete weiße Kugeln.
»Gehn Sie, hab ich gesagt. Gehn Sie! Laßt ihn doch essen und schlafen wie andere Menschen! Krallt euch nicht alle an ihn an! In der Nacht und in der Früh, den ganzen Tag, immer die Kranken, für alle soll er sich plagen und für alle umsonst! Weil ihr spürt, daß er schwach ist, hängt ihr euch alle an ihn und nur an ihn ... ah, roh seid ihr alle! Nur eure Krankheit, nur eure Sorgen, sonst kennt ihr alle nichts! Aber ich duld es nicht, ich erlaub es nicht. Gehn Sie, hab ich gesagt, gehn Sie sofort! Lassen Sie ihn endlich in Ruh, lassen Sie ihn doch diese einzige freie Stunde am Abend!«
Sie hat sich bis an den Tisch getastet. Mittels irgend eines Instinkts muß sie herausgefunden haben, wo ich ungefähr stehe, denn die Augen starren geradeaus auf mich, als könnten sie mich erblicken. Es ist so viel ehrliche und zugleich so viel kranke Verzweiflung in ihrem Zorn, daß ich mich unwillkürlich schäme.
»Selbstverständlich, gnädige Frau«, entschuldige ichmich. »Ich sehe völlig ein, der Herr Doktor muß seine Ruhe haben ... ich will auch nicht länger stören. Erlauben Sie nur, daß ich ein Wort hinterlasse oder ihn vielleicht in einer halben Stunde antelephoniere.«
Aber »Nein«, schreit sie mir verzweifelt entgegen. »Nein! Nein! Nicht telephonieren! Den ganzen Tag telephoniert's, alle wollen sie was von ihm, alle fragen und klagen! Noch hat er den Bissen nicht im Mund und muß schon aufspringen. Kommen Sie morgen in die Ordination, hab ich gesagt, es wird nicht so eilig sein. Einmal muß er seine Ruhe haben. Weg jetzt! ... Weg, hab ich gesagt!«
Und mit geballten Fäusten, unsicher tastend und tappend geht die Blinde auf mich zu. Es ist entsetzlich. Ich habe das Gefühl, sie wird mich im nächsten Moment mit ihren vorgestreckten Händen packen. Jedoch in diesem Augenblick knackt draußen die Flurtür und fällt vernehmlich klirrend ins Schloß. Das muß Condor sein. Sie lauscht, sie zuckt auf. Sofort verändern sich ihre Züge. Sie beginnt am ganzen Leibe zu zittern, die Hände, die eben geballten, schließen sich plötzlich flehend zusammen.
»Nicht ihn jetzt aufhalten«, flüstert sie. »Nicht ihm was sagen! Er ist gewiß müde, den
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