Ungeduld des Herzens.
noch nach. »Nun? Leugnen Sie's doch ab! Zeigen Sie endlich etwas von dem Mut, zu dem Sie professionell verpflichtet sind!«
»Aber Herr Doktor ... was soll ich denn tun ... Ich kann mich doch nicht zwingen lassen ... nicht etwas sagen, was ich nicht sagen will! ... Wie komme ich denn dazu, so zu tun, als ob ich einginge auf ihren irrwitzigen Wahn ...« Und unbeherrscht brach es aus mir: »Nein, ich ertrage es nicht, ich kann es nicht ertragen! ... Ich kann nicht, ich will nicht und kann nicht!«
Ich mußte ganz laut geschrien haben, denn eisern fühlte ich Condors Finger um meinen Arm.
»Leise, um Himmels willen!« Er sprang rasch zum Lichtschalter und drehte wieder ab. Nur die Lampe auf dem Schreibtisch verstreute unter ihrem gelblichen Schirm einen matten Kegel Helligkeit.
»Kreuzdonner! – Mit Ihnen muß man wirklich wie miteinem Kranken reden. Da – setzen Sie sich erst einmal ruhig nieder; auf diesem Sessel sind schon schwerere Dinge durchgesprochen worden.«
Er rückte näher heran.
»Also ohne Erregung jetzt, und bitte, ruhig, langsam eins nach dem andern! Zunächst: Sie stöhnen da herum ›Ich kann es nicht ertragen!‹ Aber das sagt mir nicht genug. Ich muß wissen: was können Sie nicht ertragen? Was entsetzt Sie eigentlich so sehr an der Tatsache, daß dies arme Kind sich leidenschaftlich in Sie vernarrt hat?«
Ich holte aus, um zu antworten, aber schon setzte Condor hastig ein:
»Nichts übereilen! Und vor allem: sich nicht schämen! An sich kann ich's ja verstehen, daß man im ersten Moment erschrickt, wenn man mit einem derart leidenschaftlichen Geständnis überfallen wird. Nur einen Hohlkopf macht ein sogenannter ›Erfolg‹ bei Frauen glücklich, nur einen Dummkopf bläht dergleichen auf. Ein wirklicher Mensch wird eher bestürzt sein, wenn er spürt, daß eine Frau sich an ihn verloren hat und er kann ihr Gefühl nicht erwidern. Alles das verstehe ich. Aber da Sie so ungewöhnlich, so ganz ungewöhnlich verstört sind, muß ich doch fragen: spielt in Ihrem Fall nicht etwas Besonderes mit, ich meine die besondern Umstände ...«
»Welche Umstände?«
»Nun ... daß Edith ... es ist nur so schwer, derlei Dinge zu formulieren ... ich meine ... flößt Ihnen ihr ... ihr körperlicher Defekt am Ende einen gewissen Widerwillen ... einen physiologischen Ekel ein?«
»Nein ... durchaus nicht«, protestierte ich heftig. Es war doch gerade die Hilflosigkeit, die Wehrlosigkeit, die mich an ihr so unwiderstehlich angezogen, und wenn ich in manchen Sekunden ein Gefühl für sie empfunden, das dem zärtlichen eines Liebenden sich geheimnisvoll näherte, so war es doch nur deshalb gewesen, weil ihr Leiden,ihr Vereinsamt- und Verstümmeltsein mich derart erschüttert hatte. »Nein! Niemals«, wiederholte ich in beinahe erbitterter Überzeugtheit. »Wie können Sie so etwas denken!«
»Um so besser. Das beruhigt mich einigermaßen. Nun, als Arzt hat man oft Gelegenheit, derartige psychische Hemmungen bei den scheinbar Normalsten zu beobachten. Freilich – verstanden habe ich die Männer nie, bei denen die kleinste Unregelmäßigkeit bei einer Frau eine Art Idiosynkrasie erzeugt, aber es gibt eben unzählige Männer, bei denen sich, sobald von den Millionen und Milliarden Zellen, die einen Körper, einen Menschen formen, nur ein Fingerbreit Pigment entstellt ist, sofort jede Möglichkeit einer erotischen Bindung ausschaltet. Solche Repulsionen sind wie alle Instinkte leider immer unüberwindlich – darum bin ich doppelt froh, daß dies bei Ihnen nicht zutrifft, daß es also keinesfalls das Faktum ihrer Lahmheit ist, das Sie derart zurückschrecken läßt. Dann allerdings kann ich nur annehmen, daß ... darf ich aufrichtig reden?«
»Gewiß.«
»Daß Ihr Erschrecken gar nicht der Tatsache selbst galt, sondern den Konsequenzen ... ich meine, daß Sie sich gar nicht so sehr vor der Verliebtheit dieses armen Kindes entsetzen, als daß Sie innerlich fürchten, andere möchten von Ihrer Verliebtheit erfahren und darüber spotten ... meiner Meinung nach ist also Ihre unmäßige Verstörtheit nichts anderes als eine Art Angst – verzeihen Sie lächerlich zu werden vor den andern, vor Ihren Kameraden.«
Mir war, als hätte Condor mir mit einer feinen spitzen Nadel ins Herz gestoßen. Denn was er aussprach, hatte ich im Unbewußten längst gefühlt und nur nicht zu denken gewagt. Schon vom ersten Tage an hatte ich mich gefürchtet, meine sonderbare Beziehung zu dem humpelndenMädchen könnte von meinen
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