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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Kameraden bespöttelt werden mit jener gutmütigen und doch seelenmörderischen österreichischen »Frozzelei«; ich wußte zu gut, wie sie jeden verhöhnten, den sie einmal mit einer »schiechen« oder uneleganten Person »erwischt« hatten. Nur darum hatte ich ja instinktiv jene Doppelschicht in meinem Leben zwischen der einen Welt und der andern, zwischen dem Regiment und den Kekesfalvas aufgerichtet. Tatsächlich – Condor hatte richtig gemutmaßt: vom ersten Augenblick, da ich ihrer Leidenschaft gewahr wurde, hatte ich mich hauptsächlich geschämt vor den andern, vor dem Vater, vor Ilona, vor dem Diener, vor den Kameraden. Sogar vor mir selbst hatte ich mich meines verhängnisvollen Mitleids geschämt.
    Aber da spürte ich schon Condors Hand magnetisch streichelnd auf meinem Knie.
    »Nein, schämen Sie sich nicht! Wenn einer, so versteh ich, daß man Furcht haben kann vor den Menschen, sobald etwas ihren reglementierten Vorstellungen widerspricht. Sie haben doch meine Frau gesehen. Niemand verstand, warum ich sie heiratete, und alles, was nicht auf ihrer engen und sozusagen normalen Linie liegt, macht die Menschen erst neugierig und dann böswillig. Gleich flüsterten meine Herren Kollegen herum, ich hätte sie in meiner Behandlung verpatzt und nur aus Furcht geheiratet – meine Freunde wieder, die sogenannten, verbreiteten, sie habe viel Geld oder erwarte eine Erbschaft. Meine Mutter, meine eigene Mutter, weigerte sich zwei Jahre lang, sie zu empfangen, denn sie hatte schon eine andere Partie für mich im Hinterhalt, die Tochter eines Professors – damals der berühmteste Internist der Universität und wenn ich sie geheiratet hätte, wäre ich drei Wochen später Dozent gewesen, Professor geworden und mein Leben lang warm in der Wolle gesessen. Aber ich wußte, daß diese Frau zugrunde gehen würde, wenn ich sie imStiche ließe. Sie glaubte nur an mich, und hätte ich ihr diesen Glauben genommen, so wäre sie unfähig gewesen, weiterzuleben. Nun, ich gestehe Ihnen offen, ich habe meine Wahl nicht bereut. Denn glauben Sie mir, als Arzt und gerade als Arzt hat man selten ein ganz reines Gewissen. Man weiß, wie wenig man wirklich helfen kann, man kommt als einzelner nicht auf gegen die Unermeßlichkeit des täglichen Jammers. Man schöpft nur mit einem Fingerhut ein paar Tropfen weg aus diesem unergründlichen Meer, und die man heute geheilt glaubt, haben morgen schon wieder ein neues Gebrest. Immer hat man das Gefühl, zu lässig, zu nachlässig gewesen zu sein, dazu kommen die Irrtümer, die Kunstfehler, die man unvermeidlich begeht – da bleibt es immerhin ein gutes Bewußtsein, wenigstens einen Menschen gerettet zu haben, ein Vertrauen nicht enttäuscht, eine Sache richtig getan zu haben. Schließlich muß man wissen, ob man nur dumpf und dumm hingelebt hat oder für etwas gelebt. Glauben Sie mir« – und ich spürte mit einmal seine Nähe ganz warm und beinahe zärtlich – »es lohnt sich schon, etwas Schweres auf sich zu nehmen, wenn man es einem anderen Menschen damit leichter macht.«
    Die tiefe Schwingung in seiner Stimme berührte mich. Mit einmal fühlte ich ein leises Brennen in der Brust, jenen wohlbekannten Druck, als ob das Herz sich erweiterte oder spannte; ich spürte, wie die Erinnerung an die verzweifelte Verlassenheit jenes unglücklichen Kindes das Mitleid in mir neuerdings erweckte. Gleich, wußte ich, würde dieses Quellen und Strömen beginnen, dem ich nicht zu wehren vermochte. Aber – nicht nachgeben! sagte ich mir. Nicht dich wieder hineinziehen, nicht dich zurückziehen lassen! So blickte ich entschlossen auf.
    »Herr Doktor – jeder kennt bis zu einem Grad die Grenzen seiner Kraft. Deshalb muß ich Sie warnen: bitte zählen Sie nicht auf mich! An Ihnen ist es und nicht an mir,jetzt Edith zu helfen. Ich bin in dieser Sache schon viel weiter gegangen, als ich ursprünglich wollte, und sage Ihnen ehrlich – ich bin keineswegs so gut oder so aufopfernd, wie Sie meinen. Ich bin am Ende meiner Kraft! Ich ertrag's nicht länger, mich anbeten, mich anhimmeln zu lassen und dabei so zu tun, als ob ich's wünschte oder duldete. Besser, sie begreift jetzt die Situation, als daß sie später enttäuscht wird. Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort als Soldat, daß ich Sie aufrichtig gewarnt habe, wenn ich Ihnen jetzt wiederhole: Zählen Sie nicht auf mich, überschätzen Sie mich nicht!«
    Ich mußte sehr entschieden gesprochen haben, denn Condor blickte mich etwas verdutzt an.
    »Das klingt ja

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