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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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beim Zufall, oder wie Frömmere sagen würden: bei Gott. Was kann nicht alles in den paar Monatengeschehen! Vielleicht bessert sich ihr Zustand wirklich rapider, als ich vermeinte, vielleicht flaut ihre Leidenschaft mit der Entfernung ab – ich kann nicht alle Möglichkeiten vorausdenken, und Sie sollen's schon gar nicht! Konzentrieren Sie alle Ihre Kraft einzig darauf, innerhalb dieser entscheidenden Zeit ihr nicht zu verraten, daß ihre Liebe Ihnen ... Ihnen so schrecklich ist. Sagen Sie sich's immer wieder: acht Tage, sieben Tage, sechs Tage, und ich rette einen Menschen, ich kränke, ich beleidige, ich verstöre, ich entmutige ihn nicht. Acht Tage männlicher, entschlossener Haltung – glauben Sie, daß Sie das wirklich nicht durchstehen können?«
    »Doch«, sagte ich spontan. Und fügte noch entschlossener bei: »Bestimmt! Ganz bestimmt!« Seit ich meine Aufgabe begrenzt wußte, fühlte ich eine Art neuer Kraft.
    Ich hörte Condor stark aufatmen.
    »Gott sei Dank! Jetzt kann ich Ihnen auch eingestehen, wie beunruhigt ich war. Glauben Sie mir – Edith hätte es wirklich nicht überstanden, wenn Sie als Antwort auf ihren Brief, auf ihr Geständnis einfach durchgebrannt wären. Gerade die nächsten Tage sind darum entscheidend. Alles andere wird sich später geben. Lassen wir zunächst das arme Kind ein bißchen glücklich sein – acht Tage ahnungslos glücklich; für diese eine Woche verbürgen Sie sich doch, nicht wahr?«
    Statt eines Wortes reichte ich ihm die Hand.
    »Dann, glaube ich, ist alles wieder in Ordnung, und wir können getrost hinüber zu meiner Frau.«
    Aber er erhob sich nicht. Ich spürte, daß ein Zögern in ihm begonnen hatte.
    »Noch eines«, fügte er leise bei. »Wir Ärzte sind genötigt, immer auch an Unvorhergesehenes zu denken, wir müssen auf jede Möglichkeit vorbereitet sein. Sollte etwa – ich setze hier einen irrealen Fall – ein Zwischenfall sich ereignen ... ich meine, sollte Ihnen die Kraft versagenoder das Mißtrauen Ediths zu irgendeiner Krise führen dann verständigen Sie mich sofort. Um keinen Preis darf während dieser kurzen, aber gefährlichen Phase etwas Unwiderrufliches geschehen. Wenn Sie sich Ihrer Aufgabe nicht gewachsen fühlen sollten, oder innerhalb dieser acht Tage unbewußt verraten, dann schämen Sie sich nicht – um Gottes willen, schämen Sie sich nicht vor mir, ich habe genug nackte Menschen und brüchige Seelen gesehen! Sie können zu jeder Stunde bei Tag oder Nacht kommen oder mich anrufen; ich bin immer bereit, beizuspringen, denn ich weiß, um was es geht. Und jetzt« – der Sessel neben mir rückte, ich merkte, daß Condor aufstand – »übersiedeln wir besser hinüber. Wir haben etwas lang gesprochen, und meine Frau wird leicht unruhig. Auch ich muß nach Jahren noch immer auf der Hut sein, sie nicht zu irritieren. Wen einmal das Schicksal hart verletzt hat, der bleibt für immer verletzbar.«
    Er machte wieder die zwei Schritte zum Lichtschalter, die Glühbirnen flammten auf. Da er sich jetzt mir zuwandte, schien mir sein Gesicht anders; vielleicht modellierte nur der grelle Schein so scharf die Konturen heraus, denn zum erstenmal bemerkte ich die tiefen Falten auf seiner Stirn, und an seiner ganzen Haltung, wie müde, wie erschöpft dieser Mann war. Er hat sich immer an andere weggegeben, dachte ich. Erbärmlich schien mir mit einmal mein Flüchtenwollen vor der ersten Unannehmlichkeit, und ich blickte ihn mit dankbarer Erregung an.
    Er schien es zu merken und lächelte.
    »Wie gut«, klopfte er mir mit der Hand auf die Schulter, »daß Sie zu mir gekommen sind und wir uns ausgesprochen haben. Denken Sie sich aus, Sie wären ohne zu überlegen, einfach davongelaufen! Ihr ganzes Leben hätte der Gedanke auf Ihnen gelastet, denn allem kann man entfliehen, nur sich selber nicht. – Und nun gehen wir hinüber. Kommen Sie – lieber Freund.«
    Dieses Wort »Freund«, das mir dieser Mann in dieser Stunde gab, bewegte mich. Er wußte, wie schwach, wie feig ich gewesen, und doch, er verachtete mich nicht. Mit diesem einen Wort schenkte er mir, der Ältere dem Jüngeren, der Erfahrene dem unsicher Beginnenden, wieder Zuversicht. Entlastet und leicht folgte ich ihm.
    Wir durchschritten zuerst das Wartezimmer, dann öffnete Condor die Tür zu dem nächsten Raum. An dem noch nicht abgeräumten Speisetisch saß seine Frau und strickte. Nichts an ihrer beharrlichen Tätigkeit hätte vermuten lassen, daß hier blinde Hände so leicht und sicher die Nadeln

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