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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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beinahe so, als ob Sie zu etwas Bestimmtem entschlossen wären.«
    Er stand plötzlich auf.
    »Die ganze Wahrheit, bitte, und nicht die halbe! Haben Sie schon etwas – etwas Unwiderrufliches getan?«
    Ich stand gleichfalls auf.
    »Ja«, sagte ich, mein Abschiedsgesuch aus der Tasche ziehend. »Hier. Bitte lesen Sie selbst.«
    Mit einer zögernden Bewegung nahm Condor das Blatt, einen beunruhigten Blick auf mich werfend, ehe er hinüber ging zum kleinen Lichtkreis der Lampe. Er las stumm und langsam. Dann faltete er das Blatt zusammen und äußerte ganz ruhig in dem sachlichsten Ton der Selbstverständlichkeit:
    »Ich nehme an, Sie sind nach dem, was ich Ihnen vorhin darlegte, sich vollkommen der Konsequenzen bewußt – wir haben eben festgestellt, daß Ihr Echappieren auf das Kind mörderisch wirken muß ... mörderisch oder selbstmörderisch ... Sie sind sich daher, vermute ich, eindeutig über die Tatsache im klaren, daß dieses Blatt Papier nicht nur ein Abschiedsgesuch für Sie darstellt, sondern ein ... ein Todesurteil für das arme Kind.«
    Ich antwortete nicht.
    »Ich habe eine Frage an Sie gerichtet, Herr Leutnant! Und ich wiederhole die Frage: sind Sie sich dieser Konsequenzen bewußt? Nehmen Sie die volle Verantwortung auf Ihr Gewissen?«
    Ich schwieg abermals. Er trat näher, das gefaltete Blatt in der Hand, und reichte es mir zurück.
    »Danke! Ich will mit der Sache nichts zu tun haben. Da – nehmen Sie!«
    Aber mein Arm war gelähmt. Ich hatte nicht die Kraft, ihn aufzuheben. Und ich hatte nicht den Mut, seinen prüfenden Blick zu bestehen.
    »Sie beabsichtigen also, das ... das Todesurteil nicht weiterzugeben?«
    Ich wandte mich ab und nahm die Hände hinter den Rücken. Er verstand.
    »Ich darf es also zerreißen?«
    »Ja«, antwortete ich, »ich bitte Sie darum.«
    Er ging zurück zum Schreibtisch. Ich hörte, ohne hinzublicken, einen scharfen Riß durch das Papier, den ersten, den zweiten, den dritten, und wie dann raschelnd die zerfetzten Blätter in den Papierkorb fielen. Auf merkwürdige Weise ward mir leicht. Abermals – zum zweitenmal an diesem schicksalhaften Tage – war eine Entscheidung für mich geschehen. Ich hatte sie nicht tun müssen. Sie hatte sich selbst für mich getan.
    Condor trat auf mich zu und drückte mich sanft wieder auf den Sessel zurück.
    »So – ich glaube, wir haben jetzt ein großes Unglück verhütet ... ein ganz großes Unglück! Und nun zur Sache! Ich verdanke immerhin dieser Gelegenheit, Sie einigermaßen kennengelernt zu haben – nein, wehren Sie nicht ab. Ich überschätze Sie nicht, ich betrachte Sie keineswegs als jenen ›wunderbaren, guten Menschen‹, als den Kekesfalva Sie lobpreist, sondern als einen, durch dieUnsicherheit des Gefühls, durch eine besondere Ungeduld des Herzens, recht unverläßlichen Partner; so sehr ich froh bin, Ihre unsinnige Eskapade verhindert zu haben, so wenig gefällt mir die Art, wie rasch Sie Entschlüsse fassen und wie rasch Sie Ihre Absichten wieder fallen lassen. Menschen, die Stimmungen derart unterworfen sind, soll man keine ernsten Verantwortungen auferlegen. Sie wären der letzte, den ich zu etwas verpflichten möchte, was Ausdauer und Standhaftigkeit erfordert.
    Darum hören Sie! Ich will von Ihnen nicht viel. Nur das Nötigste, das unbedingt Nötigste. Wir haben Edith doch bewogen, eine neue Kur zu beginnen – oder vielmehr eine, die sie für eine neue hält. Um Ihretwillen hat sie sich entschlossen, wegzufahren, für Monate wegzufahren, und wie Sie wissen, reisen sie in acht Tagen. Nun – diese acht Tage lang benötige ich Ihre Hilfe, und ich sage Ihnen gleich zur Entlastung: nur für diese acht Tage! Ich will nicht mehr von Ihnen, als daß Sie versprechen, innerhalb dieser einen Woche bis zur Abreise nichts Brüskes, nichts Plötzliches zu tun, und vor allem, mit keinem Wort und keiner Geste zu verraten, daß die Neigung dieses armen Kindes Sie dermaßen verstört. Mehr will ich zunächst nicht von Ihnen – ich glaube, das ist das Bescheidenste, was man fordern kann: acht Tage Selbstbeherrschung, wenn es um das Leben eines andern Menschen geht.«
    »Ja ... aber dann?«
    »An später denken wir vorläufig nicht. Ich darf auch, wenn ich einen Tumor operieren soll, nicht lange fragen, ob er nicht in ein paar Monaten wiederkommt. Wenn ich gerufen werde, zu helfen, habe ich nur eines zu tun: zuzugreifen, ohne zu zögern. Das ist in jedem Fall das einzig Richtige, weil das einzig Menschliche. Alles Übrige liegt

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