Ungeduld des Herzens.
ihre ungeduldigen Neffen und Großnichten nicht erben zu lassen, vierundachtzig Jahre alt geworden ist. Wenn sich einer von der erblüsternen Verwandtschaft bei ihr meldete, empfing sie ihn nicht, selbst der liebenswürdigste Brief von der Familie flog unbeantwortet unter den Tisch. Misanthropisch und schrullig seit dem Tod ihrer Kinder, ihres Mannes, lebte sie immer nur zwei oder drei Monate im Jahr in Kekesfalva, und kein Mensch kam ins Haus; die übrige Zeit kutschierte sie in der Welt herum, residierte herrschaftlich in Nizza und Montreux, zog sich an, zog sich aus, ließ sich frisieren, maniküren und schminken, las französische Romane, kaufte viele Kleider, ging von Laden zu Laden, handelte und schimpfte wie ein russisches Marktweib. Selbstverständlich hatte die einzige Person, die sie um sich duldete, ihre Gesellschafterin, kein leichtes Leben. Die arme, stille Person mußte tagtäglich drei widerliche raunzige Pinscher füttern, bürsten und ausführen, der alten Närrin Klavier vorspielen, Bücher vorlesen und sich ohne jeden Grund auf das wüsteste beschimpfen lassen; wenn die alte Dame – sie hatte diese Gewohnheit aus der Ukraine mitgebracht – manchmal ein paar Gläser Kognak oder Wodka zuviel getrunkenhatte, mußte sie sich nach sicherem Vernehmen sogar Prügel gefallen lassen. An all den Luxusplätzen, in Nizza und Cannes, in Aix les Bains und Montreux kannte man die alte, massige Frau mit dem lackierten Mopsgesicht und dem gefärbten Haar, die immer laut redend, ohne sich darum zu kümmern, ob ihr jemand zuhörte, mit den Kellnern randalierte wie ein Feldwebel und impertinent die Leute angrimassierte, die ihr nicht gefielen. Überall folgte ihr wie ein Schatten bei diesen schrecklichen Promenaden – sie mußte immer hinter ihr gehen mit den Hunden, nie neben ihr – die Gesellschafterin, eine dünne, blasse, blonde Person mit verschreckten Augen, die sich, man sah es, unablässig der rüden Art ihrer Herrin schämte und gleichzeitig sich vor ihr wie vor dem leibhaftigen Teufel fürchtete.
Nun bekam in ihrem achtundsiebzigsten Jahr, in eben demselben Hotel in Territtet, wo die Kaiserin Elisabeth immer wohnte, die Fürstin Orosvár eine ausgiebige Lungenentzündung. Auf welche Weise diese Nachricht bis nach Ungarn gedrungen war, bleibt schleierhaft. Aber ohne jede Verabredung untereinander sausten die Verwandten herbei, besetzten das Hotel, bestürmten den Arzt um Nachrichten und warteten; warteten auf ihren Tod.
Aber Bosheit konserviert. Der alte Dragoner erholte sich, und an dem Tag, da sie hörten, daß die Genesene zum ersten Mal in die Halle herunterkommen sollte, verzogen sich die ungeduldigen Verwandten. Nun hatte die Orosvár von dem allzu besorgten Eintreffen der Erben Wind bekommen; gehässig wie sie war, bestach sie zunächst einmal Kellner und Stubenmädchen, damit sie ihr jedes Wort, das ihre Verwandten gesprochen, hinterbrächten. Alles stimmte. Die voreiligen Erben hatten wie die Wölfe miteinander gestritten, wer Kekesfalva haben sollte und wer Orosvár und wer die Perlen und wer die ukrainischen Güter und wer das Palais in der Ofnerstraße.Das war der erste Schuß. Einen Monat später kam ein Brief von einem Eskompteur namens Dessauer aus Budapest, er könne seine Forderung an ihren Großneffen Deszö nicht länger prolongieren, außer wenn sie ihm schriftlich zusichere, daß er Miterbe sei. Das schlug dem Faß den Boden aus. Die Orosvár bestellte telegraphisch ihren eigenen Anwalt aus Budapest, verfaßte mit ihm ein neues Testament, und zwar – Bosheit macht hellsichtig – in Gegenwart zweier Ärzte, die ausdrücklich bescheinigten, daß die Fürstin im vollen Besitz ihrer Geisteskräfte sei. Dieses Testament nahm der Anwalt nach Budapest mit; sechs Jahre blieb es in seiner Kanzlei noch versiegelt liegen, denn die alte Orosvár beeilte sich keineswegs mit dem Sterben. Als es endlich eröffnet werden konnte, gab es große Überraschung. Zur Universalerbin war die Gesellschafterin eingesetzt, ein Fräulein Annette Beate Dietzenhof aus Westfalen, deren Name damit zum erstenmal sämtlichen Verwandten fürchterlich in die Ohren dröhnte. Ihr fiel Kekesfalva zu, Orosvár, die Zuckerfabrik, das Gestüt, das Budapester Palais; nur die ukrainischen Güter und ihr Bargeld hatte die alte Fürstin ihrer Heimatstadt in der Ukraine zum Bau einer russischen Kirche vermacht. Von den Verwandten bekam nicht ein einziger einen Knopf; niederträchtigerweise war diese Übergehung noch
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