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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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brachte es nie bis zu einemLederkoffer – einen flauschigen alten Hausrock, woraufhin er schließlich die Mütze tief über das Gesicht stülpte, damit ihm das Licht nicht in die Augen falle. So drückte er sich in die Coupéecke, längst gewohnt, auch im Sitzen zu schlummern; daß man kein Bett braucht für die Nacht und keine Bequemlichkeit für den Schlaf, hatte der kleine Lämmel schon als Kind gelernt.
    Diesmal aber schlief unser Freund nicht ein, denn noch drei andere Leute saßen im Abteil und erzählten von Geschäften. Und wenn Menschen von Geschäften erzählten, konnte Kanitz nicht weghören. Seine Lerngier hatte mit den Jahren ebensowenig nachgelassen wie seine Habgier; wie die zwei Beißer einer Zange waren sie mit eiserner Schraube verbunden.
    Eigentlich war er schon ganz nah daran gewesen, einzudämmern, aber das Stichwort, das ihn aufschreckte wie ein Pferd, wenn es die Trompete hört, war eine Zahl: ›Denken Sie, eigentlich nur durch eine faustdicke Dummheit hat dieser Glückspilz sechzigtausend Kronen auf einen Hieb verdient.‹
    Was sechzigtausend? Wer sechzigtausend? – Sofort war Kanitz ganz wach, als hätte ihm ein eiskalter Guß den Schlaf von den Augen geschreckt. Wer hat sechzigtausend verdient und wie – das mußte er doch herausbekommen. Selbstverständlich hütete er sich wohl, den drei Mitreisenden sein Zulauschen zu verraten. Im Gegenteil: er zog die Kappe noch etwas tiefer in die Stirn, damit der Schatten seine Augen gänzlich verdeckte und die andern glauben sollten, er schliefe; zugleich rückte er, behutsam jeden Stoß des Wagens listig nutzend, näher heran, um trotz des Räderratterns kein Wort zu verlieren.
    Der junge Mensch, der so heftig erzählte und jenen Trompetenstoß der Entrüstung ausgestoßen, dank dessen Kanitz munter geworden war, stellte sich als der Schreiber eines Wiener Anwalts heraus, und sein Ärger über denriesigen Schnapp seines Chefs ließ ihn ganz aufgeregt perorieren:
    ›Und dabei hat der Kerl die Sache von Grund aus verpatzt und verludert! Wegen einer ganz dummen Tagsatzung, die ihm vielleicht fünfzig Kronen eingetragen hat, ist er einen Tag später nach Budapest gekommen, und inzwischen hat sich die dumme Kuh bis über die Ohren einseifen lassen. Alles hat wunderbar geklappt – einwandfrei das Testament, die besten Schweizer Zeugen, zwei unantastbare ärztliche Gutachten, daß die Orosvár bei der Testamentsabfassung im vollen Besitz ihrer Geisteskräfte gewesen ist. Nie hätte die Schwefelbande von Großneffen und angeheirateten Pseudoverwandten nur einen kupfernen Heller bekommen trotz der Skandalartikel, die ihr Advokat in die Nachmittagsblätter schob, und so todsicher war mein Ochs von Chef, daß er, weil doch erst Freitag die Verhandlung sein sollte, seelenruhig noch einmal nach Wien zu einer blöden Tagsatzung fährt. Inzwischen schiebt sich dieser schlaue Lump, dieser Wiezner, an sie heran, macht, er, der Advokat der Gegenseite, ihr einen Freundschaftsbesuch, und die einfältige Kuh kriegt es mit den Nerven – ›Ich möchte doch gar nicht so schrecklich viel Geld, ich möchte doch nur meinen Frieden‹ – parodierte er, irgend eine nordische Mundart nachahmend. – Ja, ihren Frieden, den hat sie jetzt, und die andern völlig unnötigerweise drei Viertel ihrer Erbschaft! Ohne abzuwarten, bis mein Chef kommt, unterschreibt dieses Trottelweib einen Ausgleich, den blödesten, den dümmsten Ausgleich seit Joriget; der eine Federstrich hat sie gut eine halbe Million gekostete.‹«
    »Und nun passen Sie auf, Herr Leutnant«, wandte sich Condor mir zu. »Während dieser ganzen Philippika saß unser Freund Kanitz wie ein eingerollter Igel stumm in der Ecke, die Kappe bis knapp an die Augenbrauen gezogen, und paßte wie ein Haftelmacher auf jedes Wort.Er verstand sofort, um was es ging, denn der Prozeß Orosvár – ich setze hier einen falschen Namen ein, weil der wirkliche zu geläufig ist – bildete damals die Headline aller ungarischer Zeitungen und war tatsächlich eine tolle Affäre; ich berichte sie nur kurz.
    Die alte Fürstin Orosvár, schwerreich schon irgendwo aus der Ukraine gekommen, hatte ihren Mann um gute fünfunddreißig Jahre überlebt. Zäh wie Leder und böse wie ein Wiedehopf, seit ihr die einzigen zwei Kinder in derselben Nacht an Diphtherie gestorben waren, haßte sie von ganzem Herzen alle andern Orosvárs, weil sie ihre armen Dinger überlebten; es scheint mir wirklich glaubhaft, daß sie nur aus Bosheit und aus Dépit,

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