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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Zeit seiner allerersten Geschäfte; jener bieder tuende Bursche hatte das dicke Geld, das er alljährlich bei der Gutsverwaltung in seine eigene Tasche steckte, durch seine Vermittlung immer bei Doktor Gollinger auf Hypotheken hinterlegt. Aber das wichtigste für Kanitz war: er erinnerte sich ganz genau an den Schrank mit dem chinesischen Porzellan und an gewisse glasierte Plastiken und seidene Stickereien, die vom Großvater der Orosvár stammten, der russischer Gesandter in Peking gewesen war; schon zu Lebzeiten der Fürstin hatte er, der allein ihren immensen Wert kannte, sie für Rosenfeld in Chikago zu kaufen gesucht. Es waren Stücke seltenster Art, vielleicht zwei- bis dreitausend Pfund wert; die alte Orosvár hatte natürlich keine Ahnung, was für Preise man seit ein paar Jahrzehnten drüben in Amerika für Ostasiatica zahlte, aber sie hatte Kanitz grob abfahren lassen, sie gebe überhaupt nichts her, er solle sich zum Teufel scheren. Wenn diese Stücke noch vorhanden waren – Kanitz zitterte bei dem Gedanken –, konnte man sie bei einer Besitzveränderung spottbillig herausholen. Am besten natürlich wäre, sich das Vorkaufsrecht für das ganze Inventar zu sichern.
    Unser Kanitz tat, als ob er plötzlich erwachte – die drei Mitreisenden redeten längst von anderen Dingen –, er gähnte kunstvoll, streckte sich und zog die Uhr heraus: in einer halben Stunde mußte der Zug hier in Ihrer Garnisonsstation stoppen. Hastig faltete er den Hausrock zusammen, zog sich den unvermeidlichen Schwarzrock an und machte sich zurecht. Prompt zwei Uhr dreißig stieg er aus, fuhr in den Roten Löwen, ließ sich ein Zimmer anweisen, und ich muß nicht betonen, daß er, wie jeder Feldherr vor einer unsicheren Schlacht, sehr schlecht schlief. Um sieben Uhr – nur keinen Augenblick versäumen – stand er auf und stapfte durch die Allee, die wireben gegangen sind, zu dem Schlosse. Zuvorkommen, nur den andern zuvorkommen, dachte er. Alles erledigen, ehe die Aasgeier aus Budapest anfliegen! Rasch den Petrovic breitschlagen, daß er einen sofort verständigt, falls es zu einem Verkauf des Mobiliars kommt. Notfalls die ganze Sache mit ihm zusammen steigern und bei der Teilung sich das Inventar sichern.
    Das Schloß hatte seit dem Tode der Fürstin nicht mehr viel Hauspersonal; so konnte Kanitz sich gemächlich anschleichen und alles betrachten. Ein schöner Besitz, denkt er sich, eigentlich famos im Stand, die Jalousien frisch gestrichen, die Mauern schön gefärbelt, ein neuer Zaun – ja, ja, der Petrovic weiß, warum er so viel reparieren läßt, bei jeder Rechnung rutschen die Provisionen ihm dick in die Tasche. Aber wo steckt denn der Bursche? Das Hauptportal erweist sich als verschlossen, im Verwalterhof rührt sich niemand, so heftig man auch klopft – verdammt, wenn der Kerl am Ende selbst schon nach Budapest gefahren wäre, um dort mit dieser einfältigen Dietzenhof abzuschließen!
    Ungeduldig streicht Kanitz von einer Tür zur andern herum, ruft, klatscht in die Hände – niemand, niemand! Endlich, durch die kleine Seitentür sich anpirschend, erblickt er im Glashaus eine Weibsperson. Durch die Scheiben sieht er nur, daß sie Blumen begießt – endlich irgend jemand also, der Auskunft geben kann. Kanitz klopft grob an die Scheibe. ›Hallo‹, ruft er hinein und patscht in die Hände, um sich bemerkbar zu machen. Das weibliche Wesen, das sich drinnen mit den Blumen beschäftigt, schrickt auf, und es dauert eine Weile, ehe sie schüchtern, als hätte sie etwas angestellt, sich bis an die Tür wagt; eine blonde, unjunge, schmale Frauensperson in einer einfachen dunklen Bluse mit vorgebundener Kattunschürze, steht sie jetzt zwischen den Pfosten, die Gartenschere noch halb offen in der Hand.
    Etwas ungeduldig fährt Kanitz sie an: ›Sie lassen einen aber lang warten! Wo steckt denn der Petrovic?‹
    ›Wer bitte?‹ fragt das hagere Mädchen mit bestürztem Blick; unwillkürlich tritt sie einen Schritt zurück und versteckt die Gartenschere hinter dem Rücken.
    ›Wer?! Wieviel Petrovic gibt's denn hier? Den Petrovic mein ich – den Verwalter!‹
    ›Ach Verzeihung ... der ... der Herr Verwalter ... ja ... ich habe ihn selbst noch nicht gesehen ... er ist, glaube ich, nach Wien gefahren ... Aber die Frau hat gesagt, sie hofft, er kommt noch vor Abend zurück.‹
    Hofft, hofft, – denkt Kanitz ärgerlich. Bis abends warten. Noch eine Nacht im Hotel vertrödeln. Neue unnötige Spesen, und man weiß dabei gar nicht,

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