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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Jalousien. Licht flutet herein, man siehtdurch die hohen Glastüren weit in den Park hinaus. Konversation machen, denkt sich Kanitz. Sie nicht auslassen! Sich mit ihr anfreunden!
    ›Schön ist dieser Blick in den Park‹, beginnt er mit tiefem Atemzug. ›Wunderbar, hier zu wohnen.‹
    ›Ja, sehr schön‹, bestätigt sie gehorsam, aber die Zustimmung klingt nicht ganz echt. Kanitz spürt sofort, die Verschüchterte hat es verlernt, offen zu widersprechen, und erst nach einer Weile fügt sie berichtigend bei:
    ›Freilich, die Frau Fürstin hat sich hier nie recht wohlgefühlt. Sie sagte immer, das flache Land mache sie melancholisch. Sie hat eigentlich immer nur die Berge gern gehabt und das Meer. Die Gegend hier war ihr zu einsam, und die Menschen ...‹
    Sie stockt schon wieder. Doch – Konversation machen, Konversation machen, erinnert sich Kanitz. Kontakt mit ihr halten!
    ›Aber Sie werden hoffentlich jetzt bei uns bleiben, gnädiges Fräulein?‹
    ›Ich?‹ – sie hebt unwillkürlich die Hände, als wenn sie etwas Unerwünschtes wegstoßen wollte. ›Ich? ... Nein! Oh nein! Was soll ich denn hier allein in dem großen Haus? ... Nein, nein, ich fahre gleich weg, sobald alles geordnet ist.‹
    Kanitz schielt sie vorsichtig von der Seite an. Wie schmal sie in dem großen Raum steht, die arme Besitzerin! Etwas zu blaß ist sie und zu verschüchtert, sonst könnte man sie beinahe noch hübsch nennen; wie eine verregnete Landschaft wirkt dies länglich-schmale Gesicht mit den verhängten Lidern. Die Augen scheinen von einem zarten Kornblumenblau, weiche und warme Augen, aber sie wagen nicht, herzhaft zu strahlen, scheu ducken sie sich immer wieder hinter die Lider zurück. Und Kanitz als geübter Beobachter erkennt sofort: einWesen, dem man das Rückgrat gebrochen hat. Ein Mensch ohne Willen, den man um den Finger wickeln kann. Also Konversation machen, Konversation machen! Und mit teilnahmsvoll gefalteter Stirn erkundigt er sich weiter:
    ›Aber was soll dann aus dem schönen Besitz werden? So etwas braucht eine Führung, eine straffe Führung!‹
    ›Ich weiß nicht, ich weiß nicht.‹ Sie sagt es ganz nervös, Unruhe rinnt durch ihren zarten Leib, und in dieser einen Sekunde begreift Kanitz, daß die seit Jahren Unselbständige nie Mut zu einer selbständigen Entschließung haben wird und daß sie eher erschrocken als erfreut ist über die Erbschaft, die bloß als ein Sack Sorge auf ihren schmalen Schultern lastet. Blitzschnell überlegt er. Er hat nicht umsonst in diesen zwanzig Jahren kaufen und verkaufen, aufdrängen und abdrängen gelernt. Dem Käufer muß man zureden, dem Verkäufer abreden: erstes Gesetz der Agenten, und sofort zieht er das Abrederegister seiner Orgel. Ihr die Sache ›miesmachen‹, denkt er sich. Am Ende kann man ihr das Ganze auf einen Hieb abpachten und Petrovic zuvorkommen; vielleicht ist es ein Glück, daß dieser Bursche gerade heute in Wien steckt. Unverzüglich nimmt er eine bedauernd teilnahmsvolle Miene an.
    ›Ja. Sie haben recht! Ein großer Besitz ist immer auch eine große Plage. Man kommt da nie zur Rast. Täglich muß man sich mit den Verwaltern und dem Hauspersonal und den Nachbarn herumschlagen, und dann erst die Steuern und Anwälte! Wo die Leute spüren, daß nur ein bißchen Besitz und Geld vorhanden ist, wollen sie einem das Letzte abwürgen. Nur Feinde hat man um sich, so gut man's auch mit jedem meint. Es hilft nichts, es hilft nichts – wo sie Geld spüren, wird jeder zum Dieb. Leider, leider, Sie haben schon recht: für einen solchen Besitz muß maneine eiserne Hand haben, sonst kommt man nicht durch. Dazu muß man geboren sein, und auch dann bleibt's noch ein ewiger Kampf.‹
    ›Ach ja‹, atmet sie tief auf. Man sieht, daß sie sich an etwas Grauenhaftes erinnert. Schrecklich, schrecklich, sind die Menschen, wenn es ums Geld geht! Ich habe das nie gewußt.‹
    Die Menschen? Was gehen Kanitz die Menschen an? Was kümmert's ihn, ob sie gut sind oder schlecht? Abpachten den Gutshof und möglichst rasch und möglichst vorteilhaft! Er hört zu und nickt höflich, und während er zuhört und antwortet, rechnet er zugleich in einer anderen Ecke seines Gehirns: wie kann man die Sache am geschwindesten deichseln? Ein Konsortium gründen, das ganz Kekesfalva zur Pachtung übernimmt, die Landwirtschaft, die Zuckerfabrik, das Gestüt. Meinetwegen dann das Ganze dem Petrovic in Unterpacht geben und nur sich die Einrichtung sichern. Hauptsache bleibt: das Pachtgebot

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