Ungeduld des Herzens.
verraten, daß diese Stunden die gespanntesten, die erregtesten seines Lebens wurden. Überdenken Sie selbst die Situation: einem Menschen, bisher bloß ein mittlerer Agent, ein obskurer Geschäftemacher, saust plötzlich die Chance wie ein Meteor aus dem Himmel zu, über Nacht ein schwerreicher Mann zu werden. Er konnte innerhalb vonvierundzwanzig Stunden mehr verdienen als bisher in vierundzwanzig Jahren aufopferndster, kläglichster Kleinschacherei und – ungeheure Verlockung – er brauchte dem Opfer gar nicht nachzulaufen, es nicht zu fesseln, nicht zu betäuben – im Gegenteil, das Opfer ging ihm freiwillig in die Schlinge, es leckte geradezu noch die Hand, die schon das Messer hielt. Die einzige Gefahr bestand darin, daß jemand anderer ihm dazwischenkäme. Darum durfte er die Erbin nicht einen Augenblick lang aus der Hand lassen, ihr nicht Zeit lassen. Er mußte sie fortschleppen von Kekesfalva, ehe der Verwalter zurückkam, und durfte doch während all dieser Vorsichtsmaßnahmen in keiner Sekunde verraten, daß er selbst ein Interesse an dem Verkauf hatte.
Napoleonisch kühn und napoleonisch gefährlich war dieser Coup, die belagerte Festung Kekesfalva im Sturm zu überrennen, ehe das Entsatzheer herankam; aber dem Hasardeur macht der Zufall gern den Hehler und Helfer. Ein Umstand, von dem Kanitz selbst nichts ahnte, hatte ihm heimlich den Weg geebnet, die sehr grausame und doch natürliche Tatsache, daß dieser armen Erbin in den ersten Stunden auf ihrem ererbten Schlosse bereits so viel Erniedrigung und Haß entgegengeschlagen war, daß sie selbst nur den einen einzigen Wunsch hegte: fort, rasch fort! Keine Mißgunst gebärdet sich gemeiner als die subalterner Naturen, wenn ihr Nachbar aus der gleichen dumpfen Fron wie von Engelsschwingen hochgerissen wird: einem Fürsten werden kleine Seelen eher den rasendsten Reichtum verzeihen als dem Schicksalsgenossen gleichen Jochs die bescheidenste Freiheit. Die Hausbediensteten von Kekesfalva vermochten ihre Wut nicht zu unterdrücken, daß gerade diese Norddeutsche, der, wie sie sich genau erinnerten, die jähzornige Fürstin beim Frisieren oft Kamm und Bürste an den Kopf geworfen, nun plötzlich die Gutsherrin von Kekesfalva sein sollteund damit ihre Herrin. Petrovic hatte sich auf die Nachricht von der Ankunft der Erbin hin auf die Bahn gesetzt, um sie nicht begrüßen zu müssen, seine Frau, eine ordinäre Person und ehemaliges Küchenmädel im Schloß, hieß sie mit den Worten willkommen: ›Na, bei uns werden's ja ohnedies net wohnen wollen, da wird's Ihnen net fein genug sein.‹ Der Hausdiener hatte ihr den Koffer mit lautem Krach vor die Tür geschmissen, selber mußte sie, ohne daß die Frau des Verwalters eine Hand zur Hilfeleistung rührte, ihn über die Schwelle schleppen. Kein Mittagessen war vorbereitet, niemand kümmerte sich um sie, und nachts konnte sie vor ihrem Fenster ziemlich laut geführte Gespräche über eine gewisse ›Erbschleicherin‹ und ›Betrügerin‹ deutlich vernehmen.
An diesem ersten Empfang erkannte die arme schwachmütige Erbin, nie würde sie in diesem Hause eine ruhige Stunde haben. Nur darum – und das ahnte Kanitz nicht – nahm sie seinen Vorschlag begeistert an, noch am selben Tag nach Wien zu fahren, wo er angeblich einen sicheren Käufer wußte; wie ein Himmelsbote erschien ihr dieser ernste, gefällige, vielwissende Mann mit den melancholischen Augen. So fragte sie nicht weiter. Sie überließ ihm dankbar alle Papiere, mit stillauschenden blauen Blicken hörte sie zu, wie er sie wegen der Anlage der Kaufsumme beriet. Nur etwas Sicheres solle sie nehmen, Staatspapiere, mündelsichere. Keinem Privaten solle sie auch nur eine Krume ihres Vermögens anvertrauen, alles müsse in die Bank, und ein Notar, ein kaiserlich-königlicher Notar, die Verwaltung übernehmen. Auf keinen Fall hätte es Sinn, jetzt noch ihren Anwalt heranzuziehen, was sei denn das Advokatengeschäft anderes, als klare Dinge krumm zu kriegen? Gewiß, gewiß, flocht er immer wieder beflissen ein, es sei ja möglich, daß sie in drei Jahren, in fünf Jahren eine höhere Kaufsumme erzielen könne. Aber welche Kosten inzwischen und welche Scherereien beiGericht und den Ämtern; und da er an ihren neuerdings aufschreckenden Augen erkannte, welchen Ekel diese friedliche Person vor Gerichten und Geschäften hatte, spielte er die ganze Tonleiter der Argumente immer wieder bis zum selben Schlußakkord: rasch! rasch! Um vier Uhr nachmittags, ehe Petrovic
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