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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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nachsehen, ob die Sache belastet ist, und herauskriegen aus ihr, ob schon vor mir jemand ein Angebot gemacht hat ...) Und plötzlich gab er sich den inneren Stoß:
    ›Haben Sie schon, gnädiges Fräulein – verzeihen Sie, daß ich so indiskret frage – haben Sie eine ungefähre Vorstellung des Preises? Ich meine, haben Sie schon irgend eine bestimmte Ziffer in Aussicht genommen?
    ›Nein‹, antwortete sie ganz ratlos und sah ihn mit bestürzten Augen an.
    Oh weh! Schlecht! – dachte Kanitz. Ganz schlecht! Mit denen, die keinen Preis nennen, verhandelt man immer am schwersten. Die gehen dann zu Pontius und Pilatus, um sich zu erkundigen, und jeder schätzt und redet und spricht hinein. Wenn man ihr Zeit läßt, sich zu erkundigen, ist alles verloren. Während dieses inneren Tumults jedoch sprach die Lippe beflissen weiter:
    ›Aber eine ungefähre Vorstellung werden Sie sich wohl gemacht haben, gnädiges Fräulein ... man müßte schließlich auch wissen, ob und wieviel Hypotheken auf dem Besitz liegen ...‹
    ›Hypo... Hypotheken?‹ wiederholte sie. Kanitz merkte sofort, sie hörte das Wort zum erstenmal im Leben.
    ›Ich meine ... es muß doch irgendeine beiläufige Schätzung vorliegen ... schon im Hinblick auf die Erbgebühren ... Hat Ihnen Ihr Anwalt – verzeihen Sie, daß ich vielleicht zudringlich scheine, aber ich möchte Sie doch ehrlich beraten – hat Ihnen Ihr Anwalt gar keine Ziffern genannt?‹
    ›Der Anwalt?‹ – sie schien sich dumpf an etwas zu erinnern. ›Ja, ja ... warten Sie ... ja, etwas hat mir der Anwalt geschrieben, irgend etwas wegen einer Schätzung ... doch, Sie haben recht, wegen der Steuern, aber ... aber das war alles ungarisch abgefaßt, und ich kann nicht ungarisch. Richtig, ich erinnere mich schon, mein Anwalt schrieb, ich solle mir's übersetzen lassen, und mein Gott, das hab ich in dem Trubel ganz vergessen. In meiner Tasche muß ich drüben noch die ganzenSchriften haben ... drüben ... ich wohne ja im Verwaltungsgebäude, ich kann doch nicht im Zimmer schlafen, wo die Frau Fürstin gewohnt hat ... Aber wenn Sie wirklich so gütig sein wollen, mit hinüberzukommen, zeige ich Ihnen das alles ... das heißt ...‹ – sie stockte plötzlich – ›das heißt, wenn ich Sie nicht zu sehr bemühe mit meinen Angelegenheiten ...‹
    Kanitz zitterte vor Erregung. Das alles lief ihm mit einer Geschwindigkeit entgegen, wie man sie nur in Träumen kennt – sie selbst wollt ihm die Akten, die Schätzungen zeigen; damit hatte er endgültig die Vorhand. Demütig verbeugte er sich.
    ›Aber, verehrtes Fräulein, es ist mir doch nur eine Freude, Sie ein bißchen beraten zu können. Und ich darf ohne Übertreibung sagen, in diesen Dingen etwas Erfahrung zu besitzen. Die Frau Fürstin‹ – (hier log er entschlossen) – ›hat sich immer an mich gewendet, wenn sie eine finanzielle Auskunft brauchte, sie wußte, daß ich persönlich kein anderes Interesse kannte, als sie auf das beste zu beraten ...‹
    Sie gingen hinüber ins Verwalterhaus. Tatsächlich, alle Papiere des Prozesses lagen noch wirr zusammengestopft in der Aktentasche, die ganzen Korrespondenzen mit ihrem Advokaten, die Gebührenvorschreibungen, die Kopie des Vergleiches. Nervös blätterte sie die Dokumente durch, und Kanitz, der ihr schweratmend zusah, zitterten dabei die Hände. Endlich faltete sie ein Blatt auf.
    ›Ich glaube, das wird wohl jener Brief sein.‹
    Kanitz nahm das Blatt, dem eine ungarische Beilage angeheftet war. Es war ein kurzes Schreiben des Wiener Anwalts: ›Wie mir mein ungarischer Kollege eben mitteilt, ist es ihm gelungen, auf Grund seiner Beziehungen eine ganz besonders niedrige Einschätzung der Verlassenschaft im Hinblick auf die Erbsteuer zu erzielen. Meiner Meinung nach entspricht dieser eingesetzte Schätzwertetwa einem Drittel, bei manchen Objekten sogar nur einem Viertel des wirklichen Werts ...‹ Mit zitternden Händen nahm Kanitz die Schätzungsliste an sich. Ihn interessierte nur eines daran: das Gut Kekesfalva. Es war auf hundertneunzigtausend Kronen geschätzt.
    Kanitz wurde blaß. Genau so hoch hatte er seinerseits kalkuliert, genau das Dreifache dieser künstlich herabgedrückten Schätzung, also sechshunderttausend bis siebenhunderttausend Kronen, und dabei hatte der Anwalt doch gar keine Ahnung von den chinesischen Vasen. Wieviel ihr jetzt bieten? Die Ziffern zuckten und schwirrten ihm vor den Augen.
    Aber ganz ängstlich fragte die Stimme neben ihm: ›Ist es das

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