Ungeduld des Herzens.
unbedenklich, daß Kanitz der schlimme Gedanke zu quälen begann, ob diese Närrin nicht auch mit hundertvierzig- oder sogar mit hundertdreißigtausend Kronen ebenso zufrieden gewesen wäre. Sie sagte ›ja‹, als der Prokurist ihr zu Eisenbahnpapieren riet, sagte ›ja‹, als er ihr Bankaktien vorschlug, und blickte jedesmal ängstlich zu ihrem Orakel Kanitz hinüber. Deutlich war, daß all diese Praktiken des Geschäfts, diese Unterschriften und Formulare, ja daß der Anblick des bloßen nackten Geldes bei ihr eine gleichzeitig ehrfürchtige und doch peinliche Beunruhigung verursachte und sie sich nur danach sehnte, dieser unverständlichen Geschäftigkeit zu entrinnen, um still wieder in einem Zimmer zu sitzen, zu lesen, zu stricken oder Klavier zu spielen, statt mit unbelehrbarem Sinn und unsicherem Herzen vor solche verantwortlichen Entscheidungen gestellt zu sein.
Aber unermüdlich trieb Kanitz sie in diesem künstlichen Kreise herum, teils um ihr wirklich, wie er versprochenhatte, zur sichersten Anlage der Verkaufssumme zu verhelfen, teils um sie wirblig zu machen; das ging von neun Uhr früh bis abends halb sechs. Schließlich waren beide dermaßen erschöpft, daß er ihr vorschlug, in einem Kaffeehaus Rast zu halten. Alles Wesentliche sei ja schon erledigt, der Verkauf so gut wie perfekt; nur um sieben Uhr hätte sie beim Notar den Vertrag zu unterzeichnen und die Kaufsumme entgegenzunehmen. Sofort erhellte sich ihr Gesicht.
›Ach, dann könnte ich am Ende schon morgen früh abreisen?‹ Die beiden Kornblumen ihrer Augen strahlten ihn an.
›Aber selbstverständlich‹, beruhigte sie Kanitz. ›In einer Stunde sind Sie der freieste Mensch auf Erden und brauchen sich nie mehr um Geld und Besitz zu kümmern. Ihre sechstausend Kronen Rente sind mündelsicher angelegt. Sie können jetzt in der ganzen Welt leben, wo und wie es Ihnen gefällt.‹
Aus Höflichkeit erkundigte er sich, wohin sie zu fahren gedenke; ihr eben aufgehelltes Gesicht verschattete sich.
›Ich dachte, am besten gehe ich zunächst zu meinen Verwandten in Westfalen. Ich glaube, morgen früh fährt ein Zug über Köln.‹
Kanitz entwickelte sofort wilden Eifer. Er bestellte beim Oberkellner das Kursbuch, durchsuchte das Register, stellte alle Verbindungen zusammen. Schnellzug Wien-Frankfurt-Köln, dann umsteigen in Osnabrück. Am bequemsten der Morgenzug neun Uhr zwanzig, der sei abends in Frankfurt, dort rate er ihr, zu übernachten, um sich nicht zu übermüden. In seinem nervösen Eifer blätterte er gleich weiter und fand im Inseratenverzeichnis ein protestantisches Hospiz. Wegen der Fahrkarte brauche sie sich keine Sorgen zu machen, die besorge er, und zuverlässig werde er sie auch morgen an die Bahn begleiten. Mit derlei Erörterungen verging die Zeit schneller,als er gehofft hatte; endlich konnte er auf die Uhr sehen und drängen: ›Nun müssen wir aber zum Notar.‹
In einer knappen Stunde war dort alles erledigt. In einer knappen Stunde hatte unser Freund der Erbin drei Viertel ihres Vermögens abgeknöpft. Als sein Komplize den Namen des Schlosses Kekesfalva eingesetzt sah und dazu den geringen Kaufpreis, kniff er, ohne daß die Dietzenhof etwas merkte, das eine Auge zu und blinzelte seinen alten Spießgesellen bewundernd an. Diese kollegiale Bewunderung besagte, in Worten ausgedrückt, etwa: ›Großartig, du Lump! Was ist dir da gelungen!‹ Auch der Notar blickte interessiert hinter seiner Brille auf Fräulein Dietzenhof; er hatte wie jeder andere in den Zeitungen vom Kampf um die Erbschaft der Fürstin Orosvár gelesen, und dem Mann des Rechts kam dieser hitzige Weiterverkauf nicht recht geheuer vor. Arme Person, dachte er, du bist da in üble Hände gefallen! Aber es ist nicht Pflicht eines Notars, bei einem Kaufvertrag Verkäufer oder Käufer zu warnen. Er hat die Stempel zu setzen, den Akt einzutragen und die Gebühren erlegen zu lassen. So senkte der brave Mann nur – er hatte mancherlei Dubioses schon mitansehen und mit kaiserlichem Adler besiegeln müssen – den Kopf, faltete den Kaufvertrag sauber auseinander und lud die Dietzenhof höflich als erste zur Unterzeichnung ein.
Das scheue Wesen schreckte auf. Unschlüssig blickte sie auf ihren Mentor Kanitz, und erst als dieser sie mit einem Wink ermutigt hatte, trat sie an den Tisch und schrieb mit ihrer sauberen, klaren, aufrechten deutschen Schrift ›Annette Beate Maria Dietzenhof‹ hin; ihr folgte unser Freund. Damit war alles erledigt, der Akt
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