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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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Lumperei. Nicht im mindesten war Kanitz durch ihre Flucht beleidigt, im Gegenteil, er war – dies hat er mir selbst gestanden – in diesem Augenblick geradezu froh . Er fühlte, er hatte seine Strafe erhalten; es war gerecht, daß sie von nun ab an ihn mit der gleichen Verachtung dachte, die er selber für sich empfand.
    Aber da erschien sie schon wieder an der Tür, sie hatte feuchte Augen und war furchtbar erregt. Ihre Schultern zitterten. Sie kam auf den Tisch zu. Mit beiden Händen mußte sie sich an der Lehne festhalten, ehe sie sich neuerdings niedersetzte. Dann atmete sie leise, ohne den Blick zu heben:
    ›Verzeihen Sie ... verzeihen Sie meine Ungehörigkeit ... daß ich so aufgesprungen bin. Aber ich war so erschrocken ... wie können Sie denn? Sie kennen mich doch gar nicht ... Sie kennen mich doch gar nicht ...‹
    Kanitz war zu bestürzt, um ein Wort zu finden. Er sah nur, erschütterten Gefühls, daß kein Zorn in ihr war, sondern bloß Angst. Daß sie über die Unsinnigkeit seines plötzlichen Antrags genau so erschrocken war wie er selbst. Keiner hatte den Mut, zum andern zu sprechen, keiner den Mut, den andern anzuschauen. Aber sie reiste an diesem Vormittag nicht ab. Sie bliebenvon früh bis abends beisammen. Nach drei Tagen wiederholte er seinen Antrag, und nach zwei Monaten heirateten sie.«
    Doktor Condor machte eine Pause. »So, nun noch ein letzter Schluck – ich bin gleich zu Ende. Nur dies noch einmal – hierzulande schwätzt man, unser Freund hätte sich damals listig an die Erbin herangeschmeichelt und sie mit einem Heiratsantrag eingefangen, um das Gut zu bekommen. Aber ich wiederhole: das ist nicht wahr. Kanitz hatte , wie Sie jetzt wissen, das Schloß damals schon in der Hand, er brauchte sie nicht mehr zu heiraten, kein Atom von Berechnung spielte bei seiner Werbung mit. Nie hätte er, der kleine Agent, den Mut gefunden, aus Verschlagenheit um dieses blauäugige feine Mädchen zu werben, sondern wider seinen Willen wurde er von einem Gefühl überrascht, das ehrlich war und wunderbarerweise auch ehrlich geblieben ist.
    Denn aus dieser absurden Freite wurde eine selten glückliche Ehe. Immer ergibt gerade das Gegensätzliche, sofern es sich richtig ergänzt, die vollendetste Harmonie, und oft erweist sich das scheinbar Überraschendste als das Natürlichste. Die erste Reaktion bei diesem plötzlichen Paar war freilich, daß sie sich beide voreinander fürchteten; Kanitz argwöhnte, jemand würde ihr Geschichten von seinen dunklen Geschäften zutragen und sie ihn dann noch im letzten Augenblick mit Verachtung von sich stoßen; unheimliche Energie setzte er ein, um seine Vergangenheit unsichtbar zu machen. Er stoppte alle zweifelhaften Praktiken, gab seine Schuldbriefe mit Verlust weiter, hielt sich von seinen früheren Komplizen fern. Er ließ sich taufen, wählte einen einflußreichen Paten und setzte es mit einem kräftigen Stück Geld durch, dem Namen Kanitz das edlerklingende »von Kekesfalva« beifügenzu dürfen, bei welcher Veränderung, wie meist in solchen Fällen, der ursprüngliche Name von den Visitenkarten bald spurlos verschwand. Aber bis zum Hochzeitstage lebte er in dem Wahn, heute, morgen, übermorgen würde sie ihr Vertrauen noch erschreckt zurücknehmen. Sie wiederum, der ihre frühere Herrin, die Bestie, durch zwölf Jahre tagtäglich Unfähigkeit, Dummheit, Bosheit, Beschränktheit vorgeworfen und mit teuflischer Tyrannei jedes Selbstgefühl gebrochen, erwartete, auch von ihrem neuen Gebieter unablässig angepoltert, verhöhnt, beschimpft, zurückgesetzt zu werden; im voraus resigniert, rechnete sie auf Sklaverei wie auf ein unausweichliches Schicksal. Aber siehe, alles was sie tat, war recht; der Mann, in dessen Dienst, in dessen Hände sie ihr Leben gegeben, dankte ihr jeden Tag von neuem, immer behandelte er sie mit der gleichen ehrfürchtigen Scheu. Die junge Frau staunte; so viel Zartheit konnte sie gar nicht fassen. Allmählich blühte das schon halb verdorrte Mädchen auf. Sie wurde hübsch, bekam weiche Formen; noch ein Jahr, zwei Jahre dauerte es, ehe sie wagte, wirklich zu glauben, auch sie, die Unbeachtete, die Getretene, die Unterdrückte könne geachtet, könne geliebt werden wie alle andern Frauen. Aber das ganz wahre Glück für die beiden begann erst, als das Kind kam.
    Mit neuer Leidenschaft nahm Kekesfalva seine geschäftliche Tätigkeit in jenen Jahren auf. Den kleinen Agenten hatte er hinter sich geworfen, seine Arbeit bekam Format. Er

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