Ungeduld des Herzens.
schlaftrunken entlangtaumelte, geschah es, daß ihm bei seinem sinnlosen Dahintorkeln im Spiegel der Auslage sein eigenes Gesicht entgegenstand, und er starrte sich an, wie man die Photographie eines Verbrechers in der Zeitung ansieht, um herauszubekommen, wo eigentlich in den Zügen das Verbrecherische steckt, im aufgestoßenen Kinn, in der bösen Lippe, in den harten Augen. Er starrte sich an, und hinter der Brille seine eigenen, ängstlich aufgerissenen Augen wahrnehmend, erinnerte er sich plötzlich an jene anderen von vorhin. Solche Augen müßte man haben, dachte er erschüttert, nicht so rotgeränderte, gierige, nervöse wie ich. Solche Augen müßte man haben, blaue, spiegelnde, von einer innerlichen Gläubigkeit beseelte (meine Mutter hat manchmal so dreingesehen, erinnerte er sich, am Freitagabend). Ja, so ein Mensch müßte man sein: lieber sich betrügen lassen, als zu betrügen– ein anständiger, ein argloser Mensch. Nur die sind von Gott gesegnet. Alle meine Gescheitheiten, dachte er sich, haben mich nicht glücklich gemacht, ich bleib doch ein geschlagener, ruheloser Mensch. Und er ging weiter, Leopold Kanitz, die Straße entlang, fremd sich selber, und nie war ihm erbärmlicher zumute gewesen als an diesem Tage seines größten Triumphs.
Schließlich setzte er sich in ein Café, weil er glaubte, Hunger zu haben, und bestellte. Aber jeder Bissen widerte ihn an. Ich werde Kekesfalva verkaufen, brütete er vor sich hin, gleich weiterverkaufen. Was soll ich mit einem Gut, ich bin kein Landwirt. Soll ich einzelner Mensch in achtzehn Zimmern wohnen und mich herumschlagen mit dem Gauner von Pächter? Es war ein Unsinn, ich hätte es für die Hypothekengesellschaft kaufen sollen, und nicht unter meinem Namen ... denn wenn sie's schließlich erfährt, daß ich der Käufer war ... übrigens, ich will gar nicht viel verdienen dran! Wenn sie einverstanden ist, geb ich es ihr mit zwanzig oder auch mit zehn Perzent Gewinn wieder zurück, jederzeit kann sie es wiederhaben, wenn es sie reut.
Der Gedanke entlastete ihn. Morgen werde ich ihr schreiben oder übrigens – ich kann's ihr selbst morgen früh vorschlagen, bevor sie abfährt. Ja, das war das Richtige: ihr freiwillig eine Option auf Rückkauf zu geben. Nun vermeinte er ruhig schlafen zu können. Aber trotz der beiden verwüsteten Nächte schlief Kanitz auch in dieser kümmerlich und schlecht; immer klang ihm noch der Tonfall dieses ›sehr‹ , dieses »Ich danke Ihnen sehr im Ohr, norddeutsch, fremd, aber doch so schwingend von Aufrichtigkeit, daß die Erregung ihm bis in die Nerven bebte; kein Geschäft in den fünfundzwanzig Jahren hatte unserem Freunde solche Sorgen bereitet wie dieses, sein größtes, sein glücklichstes, sein gewissenlosestes.
Um halb acht Uhr stand Kanitz schon auf der Straße. Erwußte, daß der Schnellzug über Passau um neun Uhr zwanzig abging. So wollte er noch rasch etwas Schokolade kaufen oder eine Bonbonniere; er hatte das Bedürfnis nach einer Geste der Erkenntlichkeit und vielleicht im geheimen das Verlangen, noch einmal dieses neue Wort ›Ich danke Ihnen sehr ‹ mit diesem ergreifenden fremdartigen Akzent zu hören. Er kaufte eine große Schachtel, die schönste, die teuerste, und auch sie schien ihm als Abschiedsgeschenk noch nicht schön genug. So besorgte er im nächsten Geschäft überdies Blumen, einen ganzen dicken rotleuchtenden Buschen. Die rechte und die linke Hand bepackt, kam er zurück ins Hotel und beauftragte den Portier, beides sofort Fräulein Dietzenhof auf ihr Zimmer zu senden. Aber der Portier, ihn nach wienerischer Art gleich im vorhinein adelnd, antwortete devot: ›Bittschön, bittsehr, Herr von Kanitz, das gnädige Fräulein sind schon im Frühstückszimmer.‹
Kanitz überlegte einen Augenblick. Der Abschied war gestern so aufwühlend für ihn gewesen, daß er Angst hatte, eine neue Begegnung könnte diese gute Erinnerung zerstören. Aber dann entschloß er sich doch und betrat, die Bonbonnière und die Blumen in je einer Hand, das Frühstückszimmer.
Sie saß mit dem Rücken gegen ihn; selbst ohne daß er ihr Gesicht sah, spürte er an der bescheiden-stillen Art, mit der dieses schmale Wesen an dem einsamen Tisch saß, etwas Rührendes, das ihn wider Willen ergriff. Scheu trat er heran und legte rasch die Bonbonniere und die Blumen hin: ›Eine Kleinigkeit für die Reise.‹
Sie schrak auf und errötete tief. Es war das erste Mal, daß sie von jemandem Blumen empfing, oder vielmehr, einmal
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