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Ungeduld des Herzens.

Ungeduld des Herzens.

Titel: Ungeduld des Herzens. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Zweig
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vorausberechnete, der seit Jahren gelernt hatte, jede Reaktion im vorhinein durchzukalkulieren, war etwas völlig Neues geschehen. Er hatte in seinen bitteren Agentenjahren erlebt, daß man die Türen vor ihm zuwarf, daß man seinen Gruß nicht erwiderte, und es gab manche Gassen in seinem Rayon, die er lieber vermied. Aber daß jemand ihm noch dankte – dies war ihm noch niemals geschehen. Und vor diesem ersten Menschen, der ihm trotz allem, trotz allem vertraute, schämte er sich. Wider seinen Willen fühlte er das Bedürfnis, sich zu entschuldigen.
    ›Nein‹, stammelte er, ›um Gottes willen nein ... Sie sind mir nichts schuldig ... ich nehme nichts ... ich hoffe nur, daß ich alles richtig gemacht und ganz in Ihrem Sinne gehandelt habe ... Vielleicht wäre es besser gewesen, zu warten, ja, ich fürchte selbst, man hätte ... man hätte etwas mehr erzielen können, wenn Sie es nicht so eilig gehabt hätten ... Aber Sie wollten ja rasch verkaufen und ich glaube, es ist besser für Sie. Ich glaube bei Gott, es ist besser für Sie.‹
    Der Atem kam ihm wieder, er wurde geradezu ehrlich in diesem Augenblick.
    ›Jemand wie Sie, der nichts von Geschäften versteht, tut am besten, er läßt davon die Hand. So jemand soll ... soll lieber weniger haben, aber das ist sicher ... Lassen Sie sich‹ – er schluckte heftig – ›lassen Sie sich, ich bitte Sie dringend darum, lassen Sie sich jetzt nicht nachträglich irremachen von andern Leuten, wenn die Ihnen einreden,Sie hätten schlecht verkauft oder zu billig verkauft. Nachträglich kommen jedesmal bei jedem Verkauf gewisse Leute und spielen sich auf und schwätzen, sie hätten mehr, sie hätten viel mehr gegeben ... aber wenn es dazu kommt, dann zahlen sie nicht; alle die hätten Ihnen Wechsel angehängt oder Schuldscheine und Anteile ... Das wäre nichts für Sie, wirklich nichts, ich schwöre es Ihnen, hier schwöre ich es Ihnen, wo ich vor Ihnen stehe, die Bank ist erstklassig und das Geld ist sicher. Sie werden regelmäßig auf Tag und Stunde Ihre Rente bekommen, da kann nichts geschehen. Glauben Sie mir ... ich schwöre es Ihnen ... es ist so besser für Sie.‹
    Sie waren unterdes bis vor das Hotel gelangt. Kanitz zögerte. Ich sollte sie doch wenigstens einladen, dachte er. Zum Abendessen einladen, oder vielleicht in ein Theater. Da streckte sie ihm schon die Hände entgegen.
    ›Ich glaube, ich darf Sie nicht länger aufhalten ... es drückt mich ohnehin die ganzen Tage, daß Sie mir so viel Zeit opfern. Seit zwei Tagen haben Sie sich ausschließlich meinen Sachen gewidmet, und ich habe wirklich das Gefühl, niemand hätte es hingebungsvoller tun können. Noch einmal ... ich ... ich danke Ihnen sehr. Es ist‹ – sie errötete ein wenig – ›es ist noch nie ein Mensch zu mir so gut, so hilfreich gewesen ... ich hätte es nie für möglich gehalten, daß ich so rasch von dieser Sache befreit werde, daß alles so gut und so leicht für mich gemacht wird ... Ich danke Ihnen sehr, ich danke Ihnen sehr !‹
    Kanitz nahm ihre Hand und konnte nicht umhin, dabei zu ihr aufzusehen. Etwas von ihrer gewohnten Verängstigung war durch die Wärme des Gefühls gebrochen. Das sonst so blasse und so verschreckte Gesicht zeigte plötzlich einen belebten Glanz, beinahe kindlich sah sie aus mit ihren blauen, ausdrucksvollen Augen und dem dankbaren kleinen Lächeln. Kanitz suchte vergeblich nach einem Wort. Aber da grüßte sie schon und ging, leicht, schlankund sicher: es war ein anderer Gang als vordem, der Gang eines entlasteten, eines befreiten Menschen. Kanitz sah ihr ungewiß nach. Noch immer hatte er das Gefühl: ich wollte ihr noch etwas sagen. Doch der Portier hatte ihr schon den Schlüssel gereicht, der Boy führte sie zum Lift. Es war vorbei.
    Das war der Abschied des Opfers von seinem Schlächter. Aber Kanitz war, als hätte er mit dem Beil sein eigenes Haupt getroffen; betäubt stand er einige Minuten und starrte in die verlassene Hotelhalle hinein. Schließlich schob die strömende Welle der Straße ihn fort, er wußte nicht, wohin er ging. So hatte noch nie ein Mensch ihn angesehen, so menschlich, so dankbar. So hatte noch nie jemand zu ihm gesprochen. Unwillkürlich klang ihm dieses ›Ich danke Ihnen sehr ‹ im Ohre nach; und gerade diesen Menschen hatte er ausgeraubt, gerade diesen betrogen! Immer wieder blieb er stehen und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Und plötzlich, vor dem großen Glasgeschäft in der Kärntner Straße, die er wie

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